Erwachsene können ebenfalls von der Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) betroffen sein, die sich in der Kindheit oder Jugend zeigt. Je später die Diagnose, umso länger ist oft schon der Leidensweg.
Ja, Bill Gates und Richard Branson haben eine ADHS-Diagnose. Johnny Depp und Will Smith ebenso. Tatsächlich kommen viele Menschen mit ADHS sogenannt "gut durchs Leben" - oder gehören gar zu den grossen Umgestaltern dieser Welt. Andere wiederum, besonders schwer Betroffene, scheitern oft so grausam an ihren Herausforderungen, dass sie letztlich daran zerbrechen.
Auch die folgenden Fakten sind verstörend, wenn man die Lebenseinschnitte betrachtet, die daraus resultieren können:
- Menschen mit ADHS – Kinder, Jugendliche, Erwachsene – kämpfen allzu oft mit einem Leben voller Unruhe, ungleichmässiger Aufmerksamkeit und Impulsivität
- Über 80 % der erwachsenen ADHS-Betroffenen leiden an einer seelischen Begleiterkrankung, z.B. einer Depression oder Angststörung, 60 % sogar an mehreren
- Etwa 20 bis 60 Prozent der Kinder mit ADHS haben Lernbehinderungen. Die Störung betrifft Lesen, Mathematik oder Schreiben und die meisten haben schulische Probleme
- Bei ADHS-Betroffenen ist Suchtmittelmissbrauch doppelt so häufig wie in der Allgemeinbevölkerung (also Drogen, die Schlimmste davon, wie immer: Alkohol)
- ADHS-betroffene Mädchen und Frauen werden wesentlich häufiger ungewollt schwanger. Sexuell übertragbare Krankheiten sind ebenfalls häufiger
- Das Risiko, im Strassenverkehr zu verunglücken, ist für ADHS-Kinder drei Mal so hoch wie für Kinder ohne Aufmerksamkeitsdefizit- oder Hyperaktivitätsstörung
- Erwachsene mit ADHS haben meist eine geringere Schulbildung, erleben häufiger Arbeitsplatzwechsel, begehen mehr kriminelle Delikte und durchleben mehr Trennungen/Scheidungen. Sie besuchen zehnmal so häufig Ärzte und haben deutlich öfter Autounfälle
- In Gefängnissen beträgt die Rate der ADHS-Betroffenen ca. 20%
- ADHS-Kinder erleben etwa 20 Mal so häufig Ablehnung/Kritik von ihrem Umfeld wie neurotypische Kinder
- Das Risiko, an Demenz zu erkranken, ist bei ADHS im Vgl. zu Nicht-Betroffenen bis zu 3 Mal so hoch
Wie wird ADHS bei Erwachsenen festgestellt?
Die Medizin hat spezifische Kriterien entwickelt, um ADHS bei Erwachsenen zu diagnostizieren. Diese beinhalten diverse Grade von Konzentrationsschwierigkeiten, Überaktivität und impulsivem Verhalten. Etwa 15 % der Kinder und Jugendlichen, die ADHS-Symptome zeigen, erfüllen diese Kriterien auch im Erwachsenenalter. Bei Erwachsenen manifestiert sich ADHS oft anders, wobei Hyperaktivität nachlässt und Probleme wie Konzentrationsschwierigkeiten, innere Unruhe und emotionale Dysregulation in den Vordergrund treten.
Es ist nicht ungewöhnlich, dass ADHS erst im Erwachsenenalter diagnostiziert wird. Erwachsene mit ADHS stossen oft auf Herausforderungen bei der Suche nach angemessener Unterstützung, da die Erkrankung traditionell als kindliches Problem betrachtet wurde - und dementsprechend weniger Hilfsangebote für Erwachsene existieren.
Wie zeigt sich ADHS bei Erwachsenen konkret?
ADHS präsentiert sich bei Erwachsenen weniger auffällig als bei hyperaktiven Kindern. Häufige Schwierigkeiten umfassen Probleme bei der Organisation des Alltags oder der Arbeit, Konzentrationsschwächen oder das Einhalten von Terminen.
Erwachsene mit ADHS neigen auch zu Impulsivität. Sie können beispielsweise übermässig viel sprechen und andere regelmässig unterbrechen. Manche zeigen schnell Ärger, beenden übereilt Beziehungen, wechseln abrupt den Arbeitsplatz oder kündigen überstürzt, ohne andere Stellen für sich in Betracht gezogen zu haben.
Auch im Strassenverkehr können Probleme wie rücksichtsloses Fahren auftreten.
Erwachsene mit ADHS kämpfen oft damit, ihre Emotionen zu kontrollieren. Sie neigen zu Reizbarkeit und geringer Frustrationstoleranz. In Stresssituationen fällt es ihnen schwer, ihren Verpflichtungen nachzukommen. Unter grösstem, existenziellem Stress können sie jedoch auch "funktionieren wie ein Uhrwerk" (Dopamin, Adrenalin im Übermass vorhanden). Ziele zu setzen und zu erreichen, kann ebenfalls herausfordernd sein.
Es ist entscheidend, bei anhaltenden psychischen Problemen, die die Lebensqualität beeinträchtigen, professionellen Rat zu suchen. Eine sorgfältige Diagnose von ADHS ist wichtig, um unnötige oder falsche Behandlungen zu vermeiden.
Wann wird ADHS bei Erwachsenen diagnostiziert?
Die Kriterien für die Diagnose von ADHS bei Erwachsenen sind im Wesentlichen dieselben wie bei Kindern.
Eine Diagnose erfolgt, wenn:
• Symptome bereits in der Kindheit vorhanden waren
• mindestens sechs Indikatoren für Unaufmerksamkeit, Hyperaktivität oder Impulsivität vorliegen
• Probleme in mehr als einem Lebensbereich bestehen
• das soziale oder berufliche Leben stark beeinträchtigt ist.
Einige Erwachsene, die in ihrer Kindheit keine Diagnose erhalten haben, können (unter anderem) mithilfe spezieller Fragebögen, wie der „Wender-Utah-Rating-Scale“, rückblickend diagnostiziert werden. Eine umfassende Diagnose mit Gesprächen und Fragebögen ist immer eine Grundvoraussetzung für die Verschreibung von Medikamenten.
Es ist ferner wichtig, andere psychische Störungen, die ähnliche Symptome verursachen könnten, auszuschliessen. ADHS wird manchmal mit Persönlichkeitsstörungen wie dem Borderline-Syndrom oder bipolarer Störung verwechselt.
Viele Menschen mit ADHS leiden zusätzlich unter Begleiterkrankungen wie sozialen Verhaltensstörungen, Depressionen, Tic-Störungen oder Ängsten (anxiety). Diese können teilweise Folge der unbehandelten ADHS sein.
Viele Erwachsene mit ADHS berichten zudem von geringem Selbstbewusstsein und manche geraten in eine Abhängigkeit von Alkohol oder anderen Drogen. Vor allem Stimulanzien, da sehr stoffverwandt mit ADHS-Medikamenten, werden manchmal genutzt, um mit ADHS-Symptomen zurechtzukommen oder diese zu lindern.
Wie gehen Erwachsene mit ADHS um?
Erwachsene mit ADHS entwickeln oft eigene Strategien, um mit den Herausforderungen umzugehen, wie:
• Exakte Tagesplanung und Erstellen von Erinnerungslisten
• Aufteilung von Aufgaben in kleinere Schritte
• Anbringen von Erinnerungshilfen an strategischen Orten
• Notieren aller wichtigen Termine und Aufgaben in einem Notizbuch oder im Handy-Kalender
• Etablierung von Routinen und einheitlichen Aufbewahrungsorten für wichtige Gegenstände.
Da die Symptome von ADHS sehr individuell sind, ist es schwierig, allgemeingültige Tipps zu geben. Viele Betroffene finden jedoch im Laufe der Zeit heraus, was ihnen hilft, und die Unterstützung von Freunden und Familie ist dabei wertvoll (Achtung: Niemals akzeptieren, wenn Partner oder Eltern etc. ADHS nicht wahrhaben und besprechen wollen. Wenden Sie sich an eine ADHS-Beratungsstelle oder forcieren Sie eine Mediation/Paarberatung zum Thema).
ADHS-Erwachsene suchen - und finden - indes auch Jobs und Partnerschaften, die bestens zu ihren typischen Stärken passen - wie Offenheit, Begeisterungsfähigkeit, divergentes/vernetztes Denken, Kreativität und hohe Flexibilität. Ordnung und Struktur bleiben hingegen oft ein lebenslanges Thema. Sie können jedoch durch die erwähnten, grossen Stärken mehr als ausgeglichen werden - ganz besonders in der heutigen Welt, die sich durch schnellen Wandel und Unberechenbarkeit auszeichnet.
- Pflege
- Medien & Journalismus
- Dienstleistung
- Forschung
- Gestaltung (z. B. Innenausstatter)
- Berufe mit hohem Bewegungsanteil (z. B. Gärtner, Fitness-Trainer, Spitzensportler)
Anlaufstellen für Erwachsene mit ADHS
Erwachsene mit ADHS sollten sich in der Regel an Fachärzte für Psychiatrie, psychosomatische Medizin oder Neurologie sowie an ärztliche oder psychologische Psychotherapeuten wenden. Junge Erwachsene sollten rechtzeitig nach einem neuen Arzt suchen, wenn sie volljährig werden, da es eine Weile dauern kann, einen Termin zu bekommen. In manchen Fällen ist eine Behandlung bei einem Kinder- und Jugendpsychiater oder -therapeuten bis zum Alter von 21 Jahren möglich. In der Schweiz sind elpos und ADHS 20+ ideale Anlaufstellen für Erwachsene mit ADHS oder einem Verdacht auf ADHS.
Offenheit über die Diagnose
Die Entscheidung, anderen von der Diagnose zu erzählen, ist komplex und persönlich. Während enge Freunde und Familie oft eingeweiht sind, ist die Situation am Arbeitsplatz anders. Viele Menschen behalten ihre Diagnose für sich aus Angst vor Jobverlust, Diskriminierung, Unsicherheit über ihre Rechte oder weil sie ihre Neurodiversität als privat betrachten. Andererseits kann ein offener Umgang mit der Diagnose psychisch entlastend sein und Unterstützung und Verständnis am Arbeitsplatz fördern.
Da die Situation je nach persönlichem Umfeld unterschiedlich ist, gibt es keine allgemeingültige Antwort auf die Frage, wem man von der Diagnose erzählen sollte. Beratung durch Ärzte oder Psychotherapeuten kann hilfreich sein. In grösseren Unternehmen könnte eine vertrauliche Beratung durch die Arbeitnehmervertretung/Personalkommission ebenfalls eine Option sein.