Neurobiologische Ursachen von ADHS
ADHS, die Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung, ist eine komplexe neurologische Andersartigkeit, die sowohl bei Kindern als auch bei Erwachsenen auftritt. Sie zeichnet sich durch verschiedene Kernsymptome aus, darunter Unaufmerksamkeit, Impulsivität und Hyperaktivität, die in unterschiedlichen Kontexten wie Schule, Beruf oder persönlichen Beziehungen Probleme verursachen können. Es gibt verschiedene Ursachen und Faktoren, die zur Entstehung von ADHS beitragen können.
Erstens gibt es eine starke genetische Komponente bei ADHS. Zahlreiche Studien haben gezeigt, dass ADHS in Familien diverse Mitglieder betrifft, was darauf hinweist, dass es eine gewisse erbliche Veranlagung für diese Neurodivergenz gibt. Dabei sind wahrscheinlich viele verschiedene Gene beteiligt, von denen jedes nur einen kleinen Einfluss hat, aber zusammen tragen sie zu einem erhöhten Risiko für die Entwicklung von ADHS bei.
Weitere Erkenntnisse aus der Hirnforschung:
- Bei Menschen mit ADHS wird in den vorderen Hirnabschnitten weniger Blutzucker verbraucht. So wird das Gehirn weniger stark durchblutet
- Die rechte, vordere Hirnregion ist weniger aktiv (präfrontaler Neocortex, u.a. Planung/Arbeitsgedächtnis)
- Eine erhöhte Menge des „Dopamin-Transporters“ und eine genetische Veränderung im „Dopamin-Transporter-Gen“ wurden nachgewiesen
Schliesslich gibt es auch Umweltfaktoren, die das Risiko für ADHS erhöhen. Beispiele hierfür sind Komplikationen während der Schwangerschaft oder Geburt, Exposition gegenüber Toxinen in der Umwelt, wie zum Beispiel Tabak- oder Alkoholkonsum während der Schwangerschaft, und psychosoziale Faktoren wie eine belastende familiäre Situation oder erheblicher Stress in der Kindheit.
Wann ist der Einsatz von ADHS-Medikamenten sinnvoll?
Die Entscheidung für den Einsatz von ADHS-Medikamenten ist eine individuelle Entscheidung, die auf einer gründlichen medizinischen und psychologischen Bewertung basiert. In der Regel wird eine medikamentöse Behandlung in Erwägung gezogen, wenn die Symptome von ADHS so stark sind, dass sie die Fähigkeit des Einzelnen, im täglichen Leben zurechtzukommen, erheblich beeinträchtigen.
Es ist wichtig zu verstehen, dass Medikamente nicht die "Heilung" für ADHS sind. Sie können jedoch dazu beitragen, die Symptome von ADHS zu kontrollieren und es dem Einzelnen zu erleichtern, mit den Herausforderungen umzugehen, die die Störung mit sich bringt. Medikamente können insbesondere dabei helfen, die Aufmerksamkeit zu verbessern, die Impulsivität zu reduzieren und das allgemeine Wohlbefinden zu steigern.
Neben der medikamentösen Behandlung gibt es auch andere wichtige therapeutische Ansätze, die helfen können, die Symptome von ADHS zu bewältigen. Hierzu gehören Verhaltenstherapie, Elterntraining und andere Formen von Psychotherapie, die darauf abzielen, praktische Fähigkeiten zu entwickeln und zu stärken, die für das erfolgreiche Bewältigen des Alltags nötig oder nützlich sind.
Wie wirken Stimulanzien?
Stimulanzien sind eine Klasse von Medikamenten, die oft zur Behandlung von ADHS verschrieben werden. Zu den gebräuchlichsten Stimulanzien gehören Methylphenidat und Lisdexamfetamin, die unter verschiedenen Markennamen wie Ritalin, Concerta, Elvanse und Medikinet retard erhältlich sind.
Diese Medikamente wirken, indem sie die Konzentration der Neurotransmitter Dopamin und Noradrenalin im Gehirn erhöhen. Diese Neurotransmitter spielen eine zentrale Rolle bei der Regulierung der Aufmerksamkeit, Aktivität und Impulskontrolle. Durch die Erhöhung ihrer Verfügbarkeit können Stimulanzien dazu beitragen, die Kernsymptome von ADHS zu reduzieren.
Die Wirkungsdauer der verschiedenen Stimulanzien variiert. Unretardiertes Methylphenidat (Ritalin) hat beispielsweise eine Wirkungsdauer von etwa 3-4 Stunden. Die Retard-Formen von Methylphenidat, wie Medikinet retard, wirken 6-8 Stunden, Lisdexamfetamin (Elvanse) und Concerta (auch ritalin-basiert) wirken sogar bis zu 12 Stunden und mehr.
Altersabhängige Veränderungen der Symptome
Die ADHS-Symptome variieren über die Lebensspanne und reagieren auf eine Reihe von Einflüssen, sowohl interne wie auch externe. Bei Kindern und Jugendlichen, die unter ADHS leiden, ist oftmals die Hyperaktivität das auffälligste Symptom. Sie haben Schwierigkeiten, stillzusitzen, neigen dazu, ständig in Bewegung zu sein, und können impulsives, oft situativ störendes Verhalten zeigen. Oftmals können sie nicht warten, bis sie an der Reihe sind, und sie mischen sich auch in die Aktivitäten anderer hinein. Die Symptome können so intensiv sein, dass sie das Lernen in der Schule und den sozialen Umgang erheblich beeinträchtigen.
Mit der Zeit jedoch wandeln sich die ADHS-Symptome, vor allem durch Anpassungsdruck. Bei Jugendlichen beginnt die offensichtliche körperliche Unruhe in der Regel nachzulassen. Sie scheinen weniger "zappelig" zu sein, aber die innere Unruhe kann weiterhin bestehen. Es kommt sogar vor, dass sie als träge oder faul wahrgenommen werden, da die vorherige Hyperaktivität durch ein lähmendes inneres Gefühl der Unruhe und Anspannung ersetzt wurde. Im Prinzip verlagert sich die Hyperaktivität ins Mentale, was zu quälenden Gedankenschlaufen, fortlaufendem Hinterfragen und grosser innerer sowie sozialer Unsicherheit führen kann.
Im Erwachsenenalter ist ADHS also oft weniger durch körperliche Hyperaktivität als vielmehr durch innere Unruhe, Probleme mit der Aufmerksamkeitskontrolle und hohe Impulsivität gekennzeichnet. Die Betroffenen haben oft weiterhin Schwierigkeiten, sich auf eine Aufgabe zu konzentrieren, den Überblick über alltägliche Aufgaben zu behalten und Projekte bis zum Abschluss zu verfolgen. Dies kann auch erhebliche Auswirkungen auf ihre berufliche Leistung und ihre persönlichen Beziehungen haben. ADHS-Erwachsene werden von ihrem Umfeld oft als egozentrisch, asozial, emotional distanziert oder uninteressiert wahrgenommen – dabei ist ihre zur Verfügung stehende Aufmerksamkeit bloss zu einem grossen Teil von ihrem seelischen und körperlichen Unwohlsein absorbiert.
Emotionale Dysregulation, die sich in schnellen Stimmungsschwankungen, impulsiven Reaktionen, Wutausbrüchen und Schwierigkeiten beim Umgang mit Stress äussern kann, ist ebenfalls ein häufiges Problem bei Erwachsenen mit ADHS. Hinzu kommen möglicherweise auch Schwierigkeiten in sozialen Interaktionen und (freundschaftlichen) Beziehungen, da Impulsivität und Unaufmerksamkeit das Zuhören und die Berücksichtigung der Bedürfnisse anderer erschweren.
Die individuellen Stärken und Schwächen einer Person, die Umwelt, in der sie lebt und arbeitet, sowie andere psychische Erkrankungen oder Belastungen können sich ebenfalls auf die Art und Weise auswirken, wie sich die ADHS-Symptome im Laufe der Zeit entwickeln. Eine unpassende Berufswahl wird die inneren Kämpfe meist noch verstärken, ein hektisches Umfeld die ADHS-Symptome noch verschlimmern. Im Prinzip erhöht jeder zusätzliche externe Stressor einen stets vorhandenen "Alltags-Stresspegel", den neurotypische Menschen sonst fast nur aus Ausnahmesituationen kennen (bzw. "schlechten Tagen").
Indikation zur Behandlung von ADHS
Die Komplexität und Variabilität von ADHS erfordert einen differenzierten, auf die Person zugeschnittenen Behandlungsansatz. Der erste Schritt auf diesem Weg ist immer eine gründliche und umfassende Diagnose. Diese berücksichtigt nicht nur die vorliegenden Symptome und deren Auswirkungen auf den Alltag, sondern schliesst auch eine gründliche Anamnese und den Ausschluss anderer potenzieller Ursachen ein. Die Beteiligung von Fachleuten wie Psychologen, Psychiatern und Pädiatern ist dabei von zentraler Bedeutung.
Ein individueller Behandlungsplan basiert auf dem Ergebnis dieser umfassenden Beurteilung und berücksichtigt das Alter, das Ausmass der Symptome, die individuellen Bedürfnisse und die Lebensumstände des Betroffenen. In vielen Fällen beinhaltet der Plan sowohl medikamentöse als auch nicht-medikamentöse Therapieansätze.
Medikamente, wie Methylphenidat (z.B. Ritalin, Concerta) und Lisdexamfetamin (Elvanse), können helfen, die Konzentration und Aufmerksamkeit zu verbessern, die Impulsivität zu reduzieren und die Hyperaktivität zu kontrollieren. Sie haben sich als wirksam erwiesen und können, richtig eingesetzt, die Lebensqualität der Betroffenen erheblich verbessern. Es ist jedoch wichtig zu betonen, dass Medikamente nicht die alleinige Lösung sind. Sie sind ein Hilfsmittel, das es Betroffenen ermöglicht, von anderen Therapieansätzen zu profitieren.
Psychotherapie, einschliesslich kognitiver Verhaltenstherapie und sozialem Kompetenztraining, kann die Betroffenen zudem darin unterstützen, besser mit ihren Symptomen umzugehen und erfolgreiche Bewältigungsstrategien zu entwickeln. Elterntrainingsprogramme können Familien dabei helfen, besser zu verstehen, was ADHS ist. Und sie vermitteln Fähigkeiten, um effektiv mit den Herausforderungen umzugehen.
Darüber hinaus spielen andere Interventionen, wie Ernährungsberatung, Sport und Bewegung, Stressmanagement-Techniken und Unterstützung am Arbeitsplatz oder in der Schule, eine wichtige Rolle bei der Verbesserung des Alltagslebens und der Lebensqualität von Menschen mit ADHS.
Die Behandlung von ADHS ist ein dynamischer und sich ständig verändernder Prozess. Sie erfordert regelmässige Überprüfungen und Anpassungen, um den sich ändernden Bedürfnissen und Herausforderungen der Betroffenen gerecht zu werden. Der ultimative Zweck jeder Therapie sollte es sein, die Betroffenen zu unterstützen, ihre Fähigkeiten und Talente zu nutzen, ihre Schwierigkeiten zu minimieren und ein erfülltes, produktives Leben zu führen. Denn der Alltag vieler ADHSler sieht effektiv so aus, dass sie sich "200% bemühen, um 50% rauszuholen". Dabei kommt erschwerend dazu, dass ihre Einschränkung nicht für ihr Umfeld sichtbar ist.