Helfer und Saboteur: Die Macht unseres Unterbewusstseins

Helfer und Saboteur: Die Macht unseres Unterbewusstseins

Mal eben energisch entschieden – oder doch viel eher getrieben worden? Unsere Handlungen sind viel unfreier, als wir immer gerne annehmen. Ein Blog über den Teil der Psyche, zu dem Sie (meist) keinen Zugang haben.

1865: Der deutsche Chemiker Friedrich August Kekulé wälzt sich im Schlaf. Er träumt von einer Schlange, die sich in den eigenen Schwanz beisst ("Ouroboros"). Wenig später formuliert er aufgrund dieses Traums seine Ringtheorie zum Benzolmolekül. Die Entdeckung gilt als bahnbrechend im Gebiet der organischen Chemie – also auch dem Verständnis von chemischen Prozessen in unserem Körper. Dieser besteht ja gerade mal aus Wasserstoff, Sauerstoff, Kohlenstoff, Stickstoff und ein paar Spurenelementen. 

Benzolring

Mindestens 95 Prozent unserer Entscheidungen werden vom Unterbewusstsein gesteuert, meint die Neurowissenschaft. Und gerade unsere Träume enthalten allzu oft wertvolle Botschaften aus diesem Teil der Psyche. Doch was ist das überhaupt, das Unterbewusstsein?

Strudel

Die Spitze des Eisbergs – und unterm Wasser der grosse Rest

Das Unterbewusstsein ist die Summe von Gedanken, Erinnerungen, Wahrnehmungen, Trieben, Haltungen und potenziellen Handlungen, die in uns existieren, obwohl sie gegenwärtig nicht im Vordergrund unserer Aufmerksamkeit stehen. Das, was in einem bestimmten Augenblick unsere volle Aufmerksamkeit hat, wird von uns bewusst erlebt. Während Sie diese Sätze gelesen haben, sassen sie vielleicht auf einem Stuhl oder im Zug. Aber erst jetzt, wo Sie sich bewusstwerden, spüren Sie, wie Ihr Hintern auf einer Fläche aufliegt.

Der Autor wurde als Kind einmal von einem Schwan gebissen. Seither sind ihm die eigentlich schönen Tiere unsympathisch. Oder Sie durften mit 4 Jahren zum ersten Mal ein Vanille-Eis essen. Auf dem Schoss des Vaters, die wärmende Sommersonne auf der Haut. Heute lieben Sie alle möglichen Dinge mit Vanille-Geschmack – und kaufen immer lieber den echten Vanille-Zucker als die Industrieversion.

Die Forschung zitiert in dem Zusammenhang auch gerne den Eisberg, von dem man ausserhalb des Wassers nur die Spitze sieht (> Bewusstsein). Der grösste Teil des Brockens liegt unterhalb der Wasseroberfläche (> Unterbewusstsein). Eine Tatsache, die auch dem Kapitän der legendären Titanic zum Verhängnis wurde…

Floating Islands

Viele Einflüsse, die zusammen unsere Verhaltensmuster bilden

Das Unterbewusstsein wird von einer Vielzahl von Faktoren geprägt, darunter:

Frühe Lebenserfahrungen: Kindheitserfahrungen, Erziehung und erste soziale Interaktionen.

Kulturelle und gesellschaftliche Einflüsse: Normen, Werte und Erwartungen, die von der Gesellschaft vorgegeben werden.

Emotionale Ereignisse: Tiefgreifende emotionale Erlebnisse, sowohl positiv als auch negativ.

Wiederholte Gedanken und Verhaltensweisen: Gewohnheiten und Überzeugungen, die durch ständige Wiederholung verstärkt werden.

Träume und Fantasien: Die unbewusste Verarbeitung von Gedanken und Gefühlen durch Träume.

Unbewusste Lernprozesse: Lernen durch Beobachtung oder durch Erfahrungen, die nicht aktiv ins Bewusstsein gerufen werden.

Schattenfigur

Federführend im Thema: Sigmund Freud und Schüler C.G. Jung

Der österreichische Tiefenpsychologe Sigmund Freud revolutionierte die Welt der Psychologie mit seiner Theorie über das Unbewusste. Er postulierte, dass der größte Teil unserer psychologischen Prozesse unterhalb der Bewusstseinsebene stattfindet, verborgen, doch kraftvoll. Nach Freud sind es unsere verdrängten Wünsche und ungelösten Konflikte, meist aus der Kindheit, die im Unbewussten verweilen und unser Verhalten unbemerkt steuern.

Der Traumdeutung gab er besondere Bedeutung, da er Träume als Fenster zum Unbewussten ansah, durch die unsere verborgenen Wünsche und Ängste zum Vorschein kommen. Freuds Theorien legten den Grundstein für die Psychoanalyse und fordern uns bis heute heraus, die dunklen Ecken unserer Psyche zu erforschen.

Burning Leo

Der Schweizer Psychiater C.G. Jung aus Kesswil (TG), einst ein Schüler Freuds, entwickelte seine eigenen revolutionären Ideen über das Unbewusste. Er unterschied zwischen dem persönlichen Unbewussten, das einzigartige persönliche Erfahrungen beinhaltet, und dem kollektiven Unbewussten, einer tiefen Ebene der Psyche, die er als universelles Erbe der Menschheit ansah. Jungs Theorie des kollektiven Unbewussten ist besonders bekannt für das Konzept der Archetypen – universelle, urtümliche Symbole und Geschichten, die sich in Mythen, Träumen und Kunstwerken aller Kulturen wiederfinden.

Einer davon ist «der Schatten»: Er symbolisiert die dunklen, oft verdrängten Aspekte des Selbst. Primitive, negative menschliche Emotionen und Impulse wie Neid, Wut, Eifersucht und die Lust auf Macht gehören zu diesem Schatten. Die Auseinandersetzung mit ihm sei zentral für den individuellen Selbstfindungsprozess, da erst die Erkennung und Integration dieser dunklen Aspekte – in jedem von uns – zu einem vollständigeren Selbstverständnis führen.

Labyrinth

Sich kennenlernen: Therapien mit Zugang zum Unterbewusstsein

Auch ADHS hat einen grossen Bezug zum Thema Unterbewusstsein. Die oft überbordende Impulsivität etwa entstammt ja gerade nicht den bewussten Regionen des Gehirns, sondern sie wird von den alten Hirnteilen gesteuert, die uns in der Zeit der Jäher und Sammler das Überleben sicherten. Diverse Therapien zielen direkt auf unterbewusste Credos, Motivationen und Ängste ab:

Psychoanalyse / Psychodynamische Therapie: Begründet von Sigmund Freud, ist die Psychoanalyse einer der ältesten und bekanntesten Ansätze, der sich auf das Unterbewusstsein konzentriert. Die Therapie zielt darauf ab, unbewusste Konflikte, die aus Kindheitserfahrungen entstanden sind und das gegenwärtige Verhalten beeinflussen, aufzudecken und zu bearbeiten. Techniken wie freie Assoziation, Traumanalyse und die Untersuchung der Übertragungsbeziehung zwischen Therapeut und Klient sind zentrale Elemente dieser Methode.

Kognitive Verhaltenstherapie (KVT) mit einem Fokus auf Schematherapie: Die Kognitive Verhaltenstherapie konzentriert sich üblicherweise auf die Identifizierung und Änderung bewusster Gedankenmuster, aber die Schematherapie, eine Erweiterung der KVT, zielt darauf ab, tiefliegende, unbewusste Muster (Schemata) zu erkennen und zu verändern. Diese Schemata sind oft tief verwurzelte Überzeugungen und Gefühle über sich selbst und die Welt, die in der Kindheit geformt wurden und das Erwachsenenleben stark beeinflussen.

Gestalttherapie: Die Gestalttherapie, entwickelt von Fritz und Laura Perls, konzentriert sich auf das Hier und Jetzt und zielt darauf ab, das Bewusstsein der Klienten für ihre aktuellen Gefühle, Gedanken und Handlungen zu erhöhen. Ziel ist es, den Klienten zu helfen, sich ihrer unterdrückten Gefühle und ungelösten Konflikte bewusst zu werden und diese zu akzeptieren und zu integrieren, um ein ganzheitliches Selbstverständnis zu fördern.

Diese Ansätze verstehen das Unterbewusstsein als einen wesentlichen Teil der menschlichen Psyche, dessen Erkundung und Integration entscheidend für die psychische Gesundheit und das Wohlbefinden sind. Jede Methode hat ihre eigenen Techniken und theoretischen Rahmen, aber alle erkennen die Bedeutung des Unterbewusstseins in der therapeutischen Arbeit an.

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