2 Faces ADHD

«Ach, jeder hat doch irgendwie ein bisschen ADHS…»

ADHS: Eine Diagnose, die heute auch auf Facebook, TikTok und Instagram immer öfter offen gezeigt wird. Oft eher: Zur Schau gestellt. Oder clownesk verharmlost. Das ist leider ein «Bärendienst». Denn für Betroffene ist ADHS keine Comedysendung.

«Jeder hat heutzutage ADHS. Das liegt am Internet und den Smartphones.»

«Ja, jeder ist mal verpeilt, nervös oder aufbrausend. Get your shit together.»

«Wenn Du mir im Stress nicht zuhörst und dich mit dem Handy verkriechst…schieb es nicht auf ADHS!»

Schon oft gehört. So oder ähnlich? Wir haben Glück, denn die Welt scheint von ADHS-Experten geradezu bevölkert. Eigentlich könnten wir uns den Gang zum Psychologen sparen, denn die helfen uns ja gratis. Medikamente wohl auch unnötig – holen wir uns die Energie oder innere Ruhe lieber von den gelassenen und energischen Besserwissern.

ADHD or expert guy

Drei gute Fragen an selbsternannte ADHS-Experten

Wissen will geprüft werden – deshalb sind folgende 3 Fragen hilfreich, wenn Ihnen wieder mal ein frisch auf die Welt losgelassener ADHS-Experte ohne nachvollziehbare Ausbildung in die Arme läuft:

1. Weisst Du, welcher Prozentsatz der Erwachsenen tatsächlich ADHS hat?

2. Weisst Du, durch welche Symptome sich ADHS im Alltag besonders auszeichnet?

3. Hattest Du schon einmal Ritalin oder eines der amphetaminbasierten ADHS-Medikamente und hast dann geschlafen wie ein Baby?

Die meisten «ADHS-Experten» werden dann etwas kleinlaut. Was ihnen wohl auch mal gut tut.

Doch bevor wir die drei Fragen beantworten, möchten wir den Gründen nachgehen, warum – viel weniger von den Medien, als eben von den Besserwissern – eine regelrechte «ADHS-Epidemie» an die Wand gemalt wird.

Civilization 2023

Ein Leben «auf Speed» und eine Gesellschaft von ADHSlern?

Konsumwahn, Grossstadt-Stress und Familienzoff: Es scheint wirklich, als würden immer mehr Menschen Symptome von ADHS zeigen: Alltägliche Überforderung, innere Unruhe, hyperaktives Rumwuseln, unbeendete Projekte, kreisende Gedanken und hochkochende Emotionen. Nichts fühlt sich routinemässig oder einfach an...

Ja, die «VUCA-Welt» ist ein Wirbelwind des Wandels, der sich in einem immer schnelleren Tempo vollzieht. Und der Druck, mit diesem Tempo Schritt zu halten, wächst. Das iPhone XYZ haben müssen (etwas bessere Kamera), diese und jene Weiterbildung einsacken, den Körper auf Vordermann bringen & die Seele irgendwie wieder ins Lot. DAMIT MAN AUCH MORGEN NOCH EINE CHANCE HAT UND GEFRAGT IST. Denn: MAN WEISS JA NIE. Und sowieso: Chakren gehören in die Balance. Liebe und Sex sollten so sein wie im Film. Wenn wir ein bisschen bleiben, wie wir sind, wird uns garantiert jemand die Vorfahrt nehmen.

Da ist zwar viel Bullshit dabei, mit Verlaub. Aber diese Gedanken und Wünsche sind auch nicht ganz so abwegig in einer Welt, die zum Beispiel in der letzten Zeit von einer Technologie namens Künstliche Intelligenz so massiv umgekrempelt wurde, wie man es nie zuvor für möglich gehalten hätte.

KI Bürolist

Sie benötigen Expertise zu irgendeinem Thema? Oder ein fertiges Konzept für Ihr nächstes Projekt? 5 neue Bilder für Ihren Blog? Eine Planung für Ihren Familienkalender?

Fragen Sie einfach die KI Chat GPT 4 oder die Bilder-KI Midjourney (und viele andere). Die antworten Ihnen dann zwar nicht so langsam wie Ihr mittelmässig bis gut gebildeter Kollege. Dafür viel umfangreicher, strukturierter und differenzierter.

Da ist es: Das Leben auf Speed. Niemand von uns wird je mit der Geschwindigkeit einer KI mithalten können. Gewisse Jobs werden bald fallen wie die Bäume im Waldbrand – und sogar kreative Köpfe müssen sich schon heute warm anziehen.

Dass das Angst machen kann...dass es UNRUHE verursacht, sogar UNAUFMERKSAMKEIT, vor lauter Stress...und dass wir dabei IMPULSIV werden können: Ja, das ist irgendwie klar. Willkommen also in einer Gesellschaft auf ADHS. Denn abundante Unaufmerksamkeit, Unruhe/Hyperaktivität sowie übersteigerte Impulsivität sind die Gewinner-Antwort auf Frage 2, im ersten Abschnitt («2. Weisst Du, durch welche Symptome sich ADHS im Alltag besonders auszeichnet?»).

Bibliothek-Sturm

«Aber es hat ja doch nicht jeder ADHS, oder?»

Nein Bruno, Linda, Grossmama, Onkel Herbert, Stammtisch-Werner und Herr Bess R. Wisser. Zum Glück nicht. Das Leben kann ja so schon stressig genug sein, nicht?

Hier also mal die Fakten:

  • Gerade mal 3 bis 5 Prozent der Menschen in Deutschland/der Schweiz werden mit ADHS diagnostiziert (also maximal jeder Zwanzigste)
  • Diese Menschen – Kinder, Jugendliche, Erwachsene – kämpfen allzu oft mit einem Leben voller Unruhe, ungleichmässiger Aufmerksamkeit und Impulsivität
  • Über 80 % der erwachsenen ADHS-Betroffenen leiden an einer seelischen Begleiterkrankung, z.B. einer Depression oder Angststörung, 60 % sogar an mehreren
  • Etwa 20 bis 60 Prozent der Kinder mit ADHS haben Lernbehinderungen. Die Störung betrifft Lesen, Mathematik oder Schreiben und die meisten haben schulische Probleme
  • Bei ADHS-Betroffenen ist Suchtmittelmissbrauch doppelt so häufig wie in der Allgemeinbevölkerung (also Drogen, die Schlimmste davon, wie immer: Alkohol)
  • ADHS-betroffene Mädchen und Frauen werden wesentlich häufiger ungewollt schwanger. Sexuell übertragbare Krankheiten sind ebenfalls häufiger
  • Das Risiko, im Strassenverkehr zu verunglücken, ist für ADHS-Kinder drei Mal so hoch wie für Kinder ohne Aufmerksamkeitsdefizit- oder Hyperaktivitätsstörung
  • Erwachsene mit ADHS haben meist eine geringere Schulbildung, erleben häufiger Arbeitsplatzwechsel, begehen mehr kriminelle Delikte und durchleben mehr Trennungen/Scheidungen. Sie besuchen zehnmal so häufig Ärzte und haben deutlich öfter Autounfälle
  • In Gefängnissen beträgt die Rate der ADHS-Betroffenen ca. 20%
  • ADHS-Kinder erleben etwa 20 Mal so häufig Ablehnung/Kritik von ihrem Umfeld wie neurotypische Kinder

Reicht mal, oder?

Reicht mal.

Mann und fliegende Bücher

Wann wird ADHS zur Störung und sollte behandelt werden?

Was genau Bill Gates, Richard Branson, Jim Carrey oder Emma Watson und Salma Hayek so unternommen haben, wissen wir nicht. Aber sie haben alle eine ADHS-Diagnose. So schlecht scheinen sie damit nicht gefahren zu sein. Manchmal wird unsereins aber recht öffentlich recht auffällig. Siehe Will Smith und die berühmt gewordene Ohrfeige während der Oscar-Zeremonie.

Eine Störung wird ADHS dann, wenn es das Leben negativ beeinflusst. Wenn es Ziele, Ausbildung, Beziehungen, die Karriere, Finanzen oder die Elternschaft sabotiert. Dies erhöht das Risiko für Depressionen, Angstzustände, Lernstörungen und risikoreiche Verhaltensweisen. Womit wir dann wieder nicht mehr so weit weg sind von Drogenmissbrauch und Kriminalität.

Irgendwie noch wichtig, genauer hinzuschauen, oder?

Eben.

Und wenn sie jetzt noch Lust haben, dann am besten mit diesem Blog hier weitermachen:

«So tickt das Gehirn von Menschen mit ADHS».

Danach sind Sie garantiert kein Besserwisser mehr. Waren Sie vielleicht schon vorher nicht, sorry. Dafür wissen Sie dann vieles besser als Werner (oben).

Ja, unsereins ist immer sehr direkt. Aber: Wir geben auch einfach nicht auf... Es gibt sogar eine Theorie, wonach wir die Jäger von früher sind – eine genetische Normvariante. Ebenso menschlich wie tödlich. Dank einer kürzeren Leitung zu den evolutionär alten Hirnteilen (bzw. weniger Hemmung durch das abwägende und zögerliche Stirnhirn):

Jäger in einer Welt von Bauern?: Die Hunter-Farmer-Hypothese zu ADHS

Wie auch immer: Wir sind gekommen, um zu bleiben.

PS: Frage 3 aus dem ersten Abschnitt wurde noch nicht beantwortet, ja. Falls Sie keine Herzprobleme haben und auch nicht einen enorm hohen Blutdruck, können Sie das Experiment wohl mal wagen (nach Absprache mit Ihrem Arzt oder Apotheker). Sie tigern danach nicht nachts um 2 noch in der Wohnung herum und schlafen wirklich wie ein Baby? Um die gewohnte Zeit? Sogar besser? Dann schreiben Sie uns bitte mal... Wir müssen reden.

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