Worte wie Waffen: Toxische Kommunikation – und was sie bewirkt (2/3)
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Gratuliere, Sie haben schon echt weit gelesen – das hätten wir nicht von Ihnen gedacht. Sind Sie nun ein bisschen sauer? Das sollten Sie auch sein, denn dieser Satz war reines Gift. Mehr davon – und auch die Gegengifte – gibt’s in diesem Blog.
Sprache transportiert Gefühle – und zwar jede Menge davon. Gute wie Schlechte. Das ist jeder/jedem klar, der schon einmal beim stillen Lesen eines Buches weinen musste. Wie bitte? Weinen, wegen einem abstrakten Code aus 26 Buchstaben und ein paar Umlauten. Ja, das kommt vor – gerade auch bei schönen Liebesbriefen. Ist Ihnen noch nie passiert? Zum Glück können wir ja alle in unseren Leben noch viel lernen. Und schon ist es etwas toxisch geworden. Will der Autor da etwa unterstellen, Sie MÜSSTEN noch etwas lernen?
Was ist toxische Kommunikation und weshalb kann sie wehtun?
Toxische Kommunikation ist in erster Linie Kommunikation, die beim Empfänger (Rezipienten) schlechte Gefühle auslöst. Sie ist nicht immer ein Resultat von bösem Willen, manchmal entspringt sie auch einfach reiner Unachtsamkeit. «Das ist doch nicht so schlimm!». Sicher kennen Sie diesen Satz aus Ihrer Kindheit. Oder Sie haben ihn auch Ihrem Kleinkind/Kind schon ein paar Mal gesagt. WIE schlimm etwas ist, ist allerdings sehr subjektiv.
Der Satz tut daher zweierlei: Er entwertet die momentanen Gefühle Ihres Kindes (Trauer, Wut, Scham etc.) – und er entreisst dem Hörer die Definitionsmacht darüber, was für ihn schlimm oder nicht schlimm ist. Wie man es besser machen könnte? Zum Beispiel, indem man sein Kind fragt, was es denn gerade so schlimm findet. Bei kleineren Kindern bringt das herzlich wenig – weil sie es nicht artikulieren können. Dort reichen also Schweigen und die gute alte Umarmung. Immer gerne auch von Vätern, denn Mütter haben in der Beziehung nicht für eine unbezahlte Vollzeitstelle unterschrieben.
Toxische Kommunikation bezieht sich auf jede Form der mündlichen oder textlichen Interaktion, die schädlich, destruktiv oder verletzend für eine oder mehrere beteiligte Personen ist.
Wie kommt toxische Kommunikation im Alltag daher?
Diese Art der Kommunikation kann in verschiedenen Formen auftreten, einschliesslich, aber nicht beschränkt auf:
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Verbale Aggression: Beleidigungen, Beschimpfungen oder herabsetzende Sprache, die darauf abzielt, eine andere Person zu demütigen oder zu erniedrigen.
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Manipulation: Versuche, andere durch Täuschung, Schuldzuweisungen oder das Ausnutzen von Schwächen für eigene Zwecke zu kontrollieren oder zu beeinflussen.
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Passive Aggressivität: Indirekte Ausdrucksformen von Feindseligkeit oder Unzufriedenheit, wie zum Beispiel durch sarkastische Bemerkungen, stilles Behandeln (silent treatment) oder das absichtliche Ignorieren der Bedürfnisse anderer.
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Gaslighting: Eine spezifische Form der Manipulation, bei der versucht wird, jemanden dazu zu bringen, seine eigene Wahrnehmung, sein Gedächtnis oder seinen Verstand in Frage zu stellen, um Macht und Kontrolle zu erlangen.
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Übermässige Kritik: Ständige negative Bewertungen oder Kritik («Nörgeln»), die selten konstruktiv ist und oft dazu dient, das Selbstwertgefühl der anderen Person zu untergraben.
- Kontrollverhalten: Versuche, das Verhalten, die Entscheidungen oder die Interaktionen einer anderen Person streng zu kontrollieren oder einzuschränken, oft unter dem Vorwand der Sorge oder des Schutzes («Du machst mir Sorgen, wenn Du so reagierst…»).
Toxische Kommunikation kann ernsthafte Auswirkungen auf die psychische Gesundheit der Betroffenen haben, inklusive Stress, Angstzustände, Depressionen und ein geringes Selbstwertgefühl.
Sie kann zudem in jeglichen Beziehungen auftreten, sei es in Partnerschaften, am Arbeitsplatz, in Familien oder zwischen Freunden. Die Identifizierung und das Bewusstsein für toxische Kommunikationsmuster sind wesentliche Schritte, um solche Dynamiken zu verändern und gesündere Interaktionsformen zu fördern.
In der Waffenkammer: Beispiele toxischer Kommunikation aus dem Alltag
Absicht: Die eigene Schuld oder Verantwortung für ein Problem auf den Gesprächspartner verschieben.
Beispielsatz: "Wenn du nicht immer so überreagieren würdest, hätten wir nicht schon wieder einen Streit."
Gute Reaktion: "Es ist wichtig, dass jeder für seine eigenen Handlungen Verantwortung übernimmt. Lass uns über die eigentliche Ursache sprechen, ohne Schuld zuzuweisen."
Absicht: Das Gespräch von kritischen Themen ablenken, um selbst keine Verantwortung übernehmen zu müssen.
Beispielsatz: "Wir reden hier nur über dein Verhalten, warum bringst du jetzt etwas ganz anderes auf?"
Gute Reaktion: "Es ist wichtig, dass wir beim Thema bleiben. Und das Thema sind wir beide. Lass uns darauf zurückkommen – oder ich werde dieses Gespräch hier beenden und wir überlegen uns beide, worum es uns geht."
Verantwortung abschieben
Absicht: Sich weigern, Verantwortung für eigenes Handeln oder dessen Folgen zu übernehmen.
Beispielsatz: "Das ist nicht mein Problem, du bist der/die Einzige, der/die damit ein Problem hat."
Gute Reaktion: "Falsch. Wir sind beide in dieser Situation, und es ist wichtig, dass wir beide unsere Rolle darin erkennen und darüber sprechen, wie wir gemeinsam vorankommen können."
Verallgemeinerungen
Absicht: Spezifische Probleme oder Verhaltensweisen durch allgemeine Aussagen zu überschatten, was eine sinnvolle Diskussion erschwert.
Beispielsatz: "Du machst immer alles falsch. Und ich denke auch, Du machst das absichtlich."
Gute Reaktion: "Solche Verallgemeinerungen sind nicht hilfreich. Und deine Aussage ist nur verletzend für mich. Können wir über konkrete Beispiele sprechen, damit beide erkennen, worum es wirklich geht?"
Absicht: Sich als Opfer der Umstände/des anderen darstellen, um Sympathie zu erzeugen und von eigenen Verfehlungen oder Verantwortlichkeiten abzulenken.
Beispielsatz: "Mir passieren halt immer solche Dinge, gewöhn dich besser daran und akzeptiere mich."
Gute Reaktion: "Es tut mir leid, dass du dich so fühlst. Lass uns sehen, wie wir das Problem aktiv angehen können, statt uns als Opfer von Umständen zu sehen."
Vorgeschobene Empfindlichkeit
Absicht: Jede Form von sachlicher Kritik als persönlichen Angriff darstellen, um den Kritiker zum Schweigen zu bringen und das Thema zu wechseln.
Beispielsatz: "Deine Worte verletzen mich zutiefst, du weisst, wie sensibel ich bin. Du kritisierst mich ja sowieso immer nur."
Gute Reaktion: "Es war und ist nicht meine Absicht, dich zu verletzen. Ich möchte über das Problem sprechen, um es zu lösen, nicht um Schuld zuzuweisen. Und vielleicht wachsen wir ja daran."
Passive Bedürftigkeit
Absicht: Andeutungen oder unausgesprochene Erwartungen nutzen, um Aufmerksamkeit oder Unterstützung zu erlangen, ohne direkt um Hilfe zu bitten.
Beispielsatz: "Niemand kümmert sich wirklich um mich oder was ich durchmache. Andere Frauen/Männer würden mich sofort verstehen."
Gute Reaktion: "Wenn du Unterstützung brauchst, ist es wichtig, dass du das klar kommunizierst. Ich möchte dir helfen, aber ich muss verstehen, was du brauchst."
Indirekte Kommunikation
Absicht: Botschaften oder Wünsche auf indirekte Weise vermitteln, um direkte Ablehnung oder Konfrontation zu vermeiden.
Beispielsatz: "Manche Menschen wissen einfach, wie man jemandem den Tag verschönert, ohne dass man es ihnen sagen muss."
Gute Reaktion: "Direkte Kommunikation hilft uns beiden, klar zu verstehen, was du dir wünschst oder brauchst. Versuchen wir einfach, offener miteinander zu sprechen. Dann bin ich vielleicht auch ‘manche Menschen’."
Vorgetäuschte Unfähigkeit/Hilflosigkeit
Absicht: Sich der Übernahme von Aufgaben oder Verantwortlichkeiten entziehen, indem man vorgibt, gar nicht fähig zu sein, diese zu erfüllen.
Beispielsatz: "Ich weiss wirklich nicht, wie das geht. Ich bin einfach zu ungeschickt/technisch unbegabt, um das zu schaffen. Du machst das eh viel besser als ich."
Gute Reaktion: "Ich bin sicher, dass du das mit ein bisschen Übung hinbekommen kannst. Wie wäre es, wenn wir zusammen einen ersten Schritt machen und du dann selber weitermachst? Ich bin da, um zu helfen, wenn du Fragen hast."
Absicht: Dem Gesprächspartner unbegründete Motive oder Absichten zuschreiben, um ihn zu diskreditieren oder in eine defensive Position zu drängen.
Beispielsatz: "Du sagst zwar, dass du nur helfen willst, aber ich weiss, dass du damit nur versuchst, dich besser darzustellen."
Gute Reaktion: "Es ist schade, dass du das so siehst. Und weh tut es auch. Meine Absicht war es wirklich, nur zu helfen. Lass uns darüber sprechen, wie wir solche Missverständnisse in Zukunft vermeiden können."
Absicht: Dem Gegenüber unter dem Deckmantel eines Kompliments eine subtile Beleidigung oder Kritik zufügen.
Beispielsatz: "Es ist wirklich mutig von dir, so bunte Kleidung zu tragen. Ich könnte das nie, weil mir die Meinung anderer zu wichtig ist."
Gute Reaktion: "Danke, ich liebe es, mit meiner Kleidung zu experimentieren. Es fühlt sich grossartig an, sich in dem auszudrücken, was man trägt, ohne sich zu sehr um die Meinungen anderer zu kümmern."
Konditionale Drohung
Absicht: Handlungsfreiheit des anderen einschränken oder sich eigene Vorteile erwirken, indem unliebsame Konsequenzen für bestimmte Aktionen des freien Handelns angedroht werden.
Beispielsatz: "Wenn Du meinst, neben einem Partner noch 'Kollegen' haben zu müssen, dann trenne ich mich halt von Dir."
Gute Reaktion: "Freundschaften sind keine Bedrohung für eine gesunde Beziehung. Bitte überlege Dir das in Ruhe, danach reden wir. Zudem wünsche ich mir eine Partnerschaft ohne jegliche Drohungen."
Absicht: Gezielter Versuch, die Selbstwahrnehmung des anderen zu erschüttern. Hochtoxisch und brandgefährlich für die Psyche.
Beispielsatz: "Das habe ich nie gesagt. Du bildest Dir wieder mal etwas ein. Bist wohl langsam paranoid." (bei beweisbarem Sachverhalt)
Gute Reaktion: "Tatsächlich kann ich mich sehr genau erinnern. An meiner psychischen Gesundheit zweifle ich auch überhaupt nicht. Lass uns keine solchen Vorhaltungen machen. Wenn es nötig ist, müssen wir uns die wichtigen Dinge wohl schriftlich geben."
Fazit: Ernst nehmen und handeln
Sie haben immer beim Lesen der Beispielsätze so ein flaues Gefühl in der Magengrube gehabt? Beim Lesen der guten Reaktion vielleicht sogar gedacht "sicher mache ich mich nicht klein und gehe auf sowas ein!".
Völlig ok. Und auch sehr gesund. Wenn Sie in ein Roastbeef beissen, das deutlich über dem Verfallsdatum ist, reagieren Sie ja auch nicht mit einem zufriedenen Lächeln. Toxische Kommunikation ist Gift in Form von Worten – und Gift gehört am Besten neutralisiert.
Machen Sie niemals den Fehler, toxische Kommunikation "nur als Worte" zu sehen, die Ihnen nichts anhaben können. Denn Worte lösen Gedanken aus, Gedanken können zu Glaubenssätzen werden – und diese vermögen Ihr ganzes Handeln zu steuern. Mit anderen Worten: Diese Kommunikationsform ist im besten Fall etwas verzweifelt und nervig – im schlimmsten Fall gefährlich bis tödlich für Ihre Freiheit und Gesundheit.
Es kann übrigens gut sein, dass Ihr Gesprächspartner auch auf Ihren Schlichtungsversuch hin wieder in die Waffenkammer der toxischen Kommunikation greift. Vielleicht holt er/sie dann grad den verbalen Zweihänder hervor ("Du hast mich ja sowieso noch nie verstanden").
Dann können Sie eigentlich nur zwei Dinge tun:
- Sie machen zusammen eine Therapie und üben "gewaltfreie Kommunikation".
- Sie wechseln Ihren Gesprächspartner/Gesprächspartnerin. Und zwar definitiv.
Gratuliere übrigens, Sie haben den ganzen Artikel gelesen. Das hätten wir niemals erwartet (Ups, ein vergiftetes Kompliment...😜).
Im nächsten Blog: "Sind wir denn alle Narzissten oder was?" (3/3)