Das Buch «Vertrauen ist gut, Selbstvertrauen ist besser» enthüllt, wie unsere tiefsten Wunden zu Quellen der Stärke werden können. Eine Erkundung der Selbstwahrnehmung, die zeigt, wie echtes Selbstvertrauen aus den Schatten der Vergangenheit erwächst.
Was wir unter Vertrauen verstehen, ist im Grunde ein kindisches, auf Trugbildern aufgebautes Konstrukt, das damit steht und fällt, wie uns andere Menschen gesonnen sind: So die provokative Prämisse des Buches «Vertrauen ist gut, Selbstvertrauen ist besser: Wege aus der Enttäuschungsfalle» des Autorenduos Krishnananda Trobe und Amana Demant Trobe. Eine gewagte Behauptung, doch der Psychiater und die Psychotherapeutin finden recht griffige Argumente, um sie zu untermauern.
Vertrauen, Scheinvertrauen oder Selbstvertrauen?
In der Welt des Vertrauens ist nicht alles, wie es scheint. Das wird uns dann bewusst, wenn statt Vertrauen auf einmal tiefstes Misstrauen herrscht.
Gerade Verrat/Betrug, ein brutaler emotionaler Schlag, hat die Macht, kindliche Wunden zu öffnen und uns in unseren grundlegendsten Gefühlen der Sicherheit und Akzeptanz zu erschüttern. Am Anfang mögen wir gar stolz behaupten «Das macht mir nichts aus, ich stehe über diesem Menschen» – doch tief im Inneren spüren wir den brennenden Schmerz der Ablehnung, ähnlich den Gefühlen aus der Kindheit, als wir uns manchmal extrem unverstanden gefühlt haben.
Die wahre Herausforderung und auch der Schlüssel zum Wachstum liegt darin, diese schmerzhaften Emotionen nicht zu verdrängen, sondern anzunehmen, sagt das Autorenpaar. Indem wir uns nämlich unseren grössten Ängsten und Verletzungen stellen, schaffen wir erst den nötigen Raum für echtes Selbstvertrauen, das nicht von äusserer Zustimmung abhängt. Dieses «echte Vertrauen» unterscheidet sich wesentlich vom «Scheinvertrauen», das brüchig ist und stets von der Anerkennung/vom «korrekten Verhalten» anderer lebt.
Studien über Vertrauen zeigen tatsächlich, dass echtes Selbstvertrauen aus der Akzeptanz und Verarbeitung aller Lebenserfahrungen – sowohl der positiven als auch der schmerzhaften – erwächst. Beste Beispiele sind etwa Menschen, die sich nie akzeptieren konnten, nach schweren Schicksalsschlägen aber aufblühen und sich der Welt mitteilen. Oder auch Menschen, die gerade durch den schweren Schicksalsschlag zu ihrer wahren Berufung finden – und danach die Welt mit ihren Erkenntnissen begeistern. Es ist das tiefe Verständnis unserer eigenen Erfahrungen und Emotionen, das uns widerstandsfähig gegenüber den Wechselfällen des Lebens macht. Durch die Konfrontation mit unseren kindlichen Wunden und der Transformation des Schmerzes in Verständnis und Akzeptanz, entsteht ein unerschütterliches Fundament des Selbstvertrauens, sagen die zwei Buchautoren.
Das «innere Kind», geprägt von Ängsten und unerfüllten Bedürfnissen
Die tiefgreifenden Auswirkungen unserer Kindheitserfahrungen auf unser Erwachsenenleben sind ein zentrales Thema in der modernen Psychologie. Elterlicher Narzissmus, oft eine Hauptursache für kindliche Traumata, hinterlässt zum Beispiel eine Narbe, die sich im Verhalten und in der emotionalen Reaktion im Erwachsenenalter widerspiegelt. Diese Kindheitserfahrungen aus der Perspektive eines Erwachsenen erneut zu durchleben, kann uns ein grundlegendes Verständnis für unsere Reaktionen und unser sehr lange schon gehegtes Misstrauen gegenüber Menschen und dem Leben mitgeben.
Diese Auseinandersetzung sei nicht nur eine Reise in die Vergangenheit, sondern auch eine Chance zur Heilung, so Trobe&Trobe. Ein wichtiger Teil dieses Prozesses ist demnach das Erkennen und der Umgang mit unserem «regredierten inneren Kind». Dieser Anteil unserer Persönlichkeit, der oft fordernd, ungeduldig, manipulativ oder gar rachsüchtig sein kann, spiegelt die ungelösten Konflikte und Bedürfnisse unserer Kindheit wider. Er verlangt, auch bis spät ins Erwachsenenleben, immer nach Aufmerksamkeit – und kann sich in Form von Wutanfällen, Verantwortungslosigkeit oder Selbstsabotage und Depression äussern. Es ist eine Form der Regression, die uns erlaubt, Ängsten und Schmerzen aus dem Weg zu gehen, indem wir ganz einfach den stärksten Impulsen folgen, die wir gerade spüren.
Die Herausforderung besteht nun gemäss dem Buch nicht darin, dieses regredierte innere Kind abzulehnen, sondern es liebevoll zu beobachten, zu umarmen, aber auch Grenzen zu setzen. Dies sei ein entscheidender Schritt, um aus negativen Mustern auszubrechen, die unsere Beziehungen und unser Selbstbild beeinträchtigen. Interessanterweise triggern oft die Schwächen unserer Partner unsere frühkindlichen Wunden – und rufen das regredierte Kind auf den Plan. Dadurch entsteht ein Teufelskreis, der unsere Beziehungen und auch die Elternschaft belasten kann.
Die Auseinandersetzung mit diesen tief verwurzelten Problemen erfordert Mut und Selbstreflexion. Der Prozess ermöglicht uns aber auch, ein authentischeres und erfüllteres Leben zu führen. Die Annahme/Heilung unseres inneren Kindes führt dann zu einem stärkeren, echten Selbst-Vertrauen. Wir können früher oder später sogar eine schmerzvolle Vergangenheit als wichtigen Teil unserer ganzen Geschichte anerkennen, ohne dass sie unsere Gegenwart und Zukunft definiert.
Wurzeln erkennen, eigene Meinung finden, «neue Äste bilden»
Unsere Erziehung und die familiären Werte, die wir in unserer Kindheit erlernen, legen oft die Grundlage für unsere Persönlichkeitsentwicklung. Diese Werte bilden eine Art «Kiste», in der wir uns bewegen. Sie setzen uns Leitplanken, aber auch Grenzen, innerhalb derer wir uns akzeptiert und anerkannt fühlen. Oft bedeutet dies, bestimmte Rollen in der Familie zu übernehmen – und Verhaltensweisen zu entwickeln, die in unserem familiären Umfeld belohnt wurden, während andere verpönt waren. Das kann der «fleissige Ehemann» sein, ebenso wie «die liebende Mutter» oder das «brave Kind», ganz egal. Die Konditionierung in der Kindheit beeinflusst immer auch stark unsere emotionalen Reaktionen als Erwachsene.
Doch diese «emotionale Fahrbahn» ist nicht nur einspurig, wie wir oft denken. Denn extreme Emotionen wie Wut und Trauer, die wir in der Kindheit erfahren haben, tragen verborgene Botschaften und das Potenzial zur Heilung in sich. Endlich aufgebrochene Wut kann beispielsweise viel Stärke und Selbstvertrauen beinhalten, während zugelassene Trauer den Blick auf unsere Sensibilität fördern – und uns auf einem geraden Weg zur Selbstliebe führen kann.
Eine gewisse Abnabelung von den Werten unserer Kernfamilie sei indes oft ein wichtiger Schritt im Erwachsenwerden, schreiben die Autoren. Das bedeutet, unsere eigenen Definitionen von Liebe, Partnerschaft, Elternschaft, Erfolg und Lebensglück zu entwickeln, die möglicherweise von denen unserer Eltern abweichen. Erst dieser Prozess führt zu mehr Selbstakzeptanz und einer Versöhnung mit unserer Vergangenheit. Indem wir uns der Wurzeln unserer Erziehung bewusstwerden – und gleichzeitig neue Äste des eigenen Lebens wachsen lassen, anerkennen wir auch, dass unsere Vergangenheit ein integraler Bestandteil unseres heutigen Ichs ist. Wir können dankbar behalten, wozu wir immer noch stehen – und beherzt ablehnen, was wir heute anders sehen. Ohne dieses Bewusstsein kann es hingegen gut sein, dass wir nach Rollen leben, die nie für uns gedacht waren – und die uns unglücklich machen.
Vom Kamel zum Löwen – und dann zum Kind werden?
Friedrich Nietzsches Entwicklungstheorie, dargestellt durch die Metaphern des «Kamels», des «Löwen» und des «Kindes», eröffnet einen weiteren Blick auf diese menschliche Entwicklung und Selbstfindung. Das Kamel symbolisiert für den deutschen Philosophen den Anfang unserer Lebensreise, gekennzeichnet durch Glaube, Demut, Schlichtheit und Nächstenliebe. Diese Phase der Erduldung und Selbstbeschränkung ist vergleichbar mit der Lebensphase eines jungen Erwachsenen, der versucht, den Erwartungen seiner Umwelt gerecht zu werden, indem er die aufgestellten Regeln und Normen ohne Widerstand befolgt. Halt eben «brav sein».
Im Übergang zum Löwen erleben wir den Ausbruch aus diesen vorgegebenen Strukturen. Der Löwe steht für Freiheit und Selbstbestimmung, er kämpft gegen den 'grossen Drachen' der Konventionen und Pflichten. Diese Phase ist der Lebensabschnitt, in dem eine Person beginnt, gegen die übernommenen Werte und Normen aufzubegehren und ihre eigene Identität zu formen. Das kann in der Pubertät beginnen, aber so richtig bewusst erst im reiferen Erwachsenenalter.
Schliesslich mündet die Reise gemäss Nietzsche im Kind, das für Unschuld, Vergessen und Neubeginn steht. Das Kind ist kreativ und unbelastet von der Vergangenheit, es symbolisiert das Erwachsenwerden zu einem Menschen, der fähig ist, seine eigenen Werte und Moralvorstellungen zu erschaffen. Ganz ohne fremde Hilfe und Dogmen. Ein Beispiel hierfür könnte ein Künstler sein, der nach Jahren des Experimentierens und der Selbstfindung zu seinem eigenen, einzigartigen Stil findet. Oder auch ein unternehmerischer Mensch, der endlich seine eigene Firma gründet.
Nietzsches Metaphern lehren uns, dass jeder Schritt des Lebensweges – die Anpassung, der Ausbruch und der kreative Neuanfang – essenziell für die Entwicklung eines authentischen Selbst ist. Indem wir alle drei Phasen durchlaufen, entsteht ein reifer, selbstbestimmter Mensch, der in der Lage ist, das Leben nach seinen Vorstellungen zu gestalten.
Sich selbst bleiben, sich mit anderen verbinden – oder gar beides?
In der komplexen Welt der Beziehungen ringen wir oft mit dem Wunsch, uns zu öffnen und gleichzeitig Meister unseres Schicksals zu bleiben. Dieser Konflikt zwischen Autonomie und Bindung führt uns zu einer zentralen Erkenntnis: Das Setzen von Grenzen und das bewusste Navigieren (statt Mitfahren) in Beziehungen sind die Schlüssel zur Integration unseres Selbst.
Das Erkennen und Annehmen unserer Stärken und Schwächen ermöglicht uns dabei, authentisch zu handeln, schreiben die Autoren. Wenn wir lernen, unsere Wut, Traurigkeit und auch die Momente der Unsicherheit zu akzeptieren und mitzuteilen, entwickeln wir Selbstbewusstsein IN der Beziehung. Diese Bewusstheit hilft uns, Grenzen zu setzen, die nicht aus Feindseligkeit, sondern aus Liebe und Ehrlichkeit entstehen. Es geht dann nicht länger darum, den anderen zu kontrollieren, sondern um das selbstbestimmte Aushalten von Frustration ebenso wie um das konsequente Einstehen für eigene Bedürfnisse.
Ein wichtiger Aspekt dabei ist die Verantwortung für unser eigenes Verhalten. Ehrlichkeit in Beziehungen – sowohl in dem, was wir tun, als auch in dem, was wir unterlassen – schafft echtes Vertrauen und Nähe. Und nur indem wir uns bewusst in den Schmerz anderer einfühlen, lernen wir auch unseren eigenen Schmerz besser verstehen.
Die Erfahrung der Deprivation – wenn wir uns von anderen im Stich gelassen fühlen – kann hingegen immer wieder Wut und Resignation auf den Plan rufen. Trobe & Trobe sagen, dass wir selbst die Verantwortung für unsere Ängste, unser Alleinsein und unseren Schmerz übernehmen müssen, die bei Deprivation entstehen. Das Ergebnis ist ein integriertes Selbst, das fähig ist, sich authentisch in Beziehungen einzubringen – und gleichzeitig seinen eigenen Werten und Bedürfnissen treu zu bleiben. Dort einmal angekommen – und vielleicht immer noch unglücklich in der Beziehung – würde dieses Selbst aber auch bestimmt seiner eigenen Wege gehen. Nur eben nicht mehr als «Opfer», sondern als selbstwirksamer Mensch, der seinem (Ex-)Partner nichts vorwirft.
Wie denn nun vertrauen lernen und im Leben wirklich Tiefe erfahren?
Vertrauen zu lernen und Tiefe zu erleben, ist für das Autorenduo eine Reise, die uns immer zwingt, erst einmal unser inneres Kind zu verstehen – und Verantwortung für dessen impulsives Verhalten zu übernehmen. Diese Reise führt uns in Beziehungen auch immer durch verschiedene Phasen – von anfänglicher Vorsicht gegenüber anderen zur Überhöhung des Partners (während der grossen Verliebtheit) und anschliessenden Enttäuschung. Wichtig dabei sei, diesen Prozess als Abkehr von der Selbsttäuschung zu erkennen. Wir werden ent-täuscht, damit wir uns von unserem vorherigen Scheinvertrauen lösen.
Die erfolgreiche Integration unseres Selbst verlangt gemäss den Autoren, weniger auf Erwartungen zu bauen und stattdessen offener dafür zu sein, was das Leben uns zeigt und bringt. Unsere eigenen Schattenseiten, wie Wut, Rachsucht oder Unaufrichtigkeit, müssen wir erst annehmen, bevor wir sie bei anderen suchen, finden und bemängeln. Diese Akzeptanz ermöglicht es uns, ein Ich zu entwickeln, das nicht von verdrängten Anteilen sabotiert wird. Diese innere Arbeit führt zu echter Selbstverbundenheit. Immer die wichtigste Voraussetzung, wenn wir zu anderen eine stabile Verbindung herstellen möchten.
Trobe und Trobe ermutigen auch dazu, der eigenen Intuition und den Signalen unserer Lebensenergie zu folgen, anstatt sich von den Ängsten des inneren Kindes leiten zu lassen. Es gehe darum, sich bewusst Wachstumsmöglichkeiten zu suchen, die auf den ersten Blick unbequem, ja beängstigend sein mögen (sogenannt "vertikal leben", in die Tiefe statt an der Oberfläche). Besonders dann, wenn wir in Routine und Schwäche feststecken. Dies erfordert, ehrlich zu sich selbst zu sein und keine faulen Kompromisse bei bedeutenden Dingen einzugehen. Es heisst, dem Herzen und Körpergefühl vor dem reinen Verstand den Vorrang zu geben, selbst wenn dies unpassend für andere sein mag. Allerdings ist das kein Freipass für Lügen und Betrug. Die Autoren schreiben gar, dass nur «hundertprozentige Ehrlichkeit» es erlaube, wirklich zu lieben und zu vertrauen. Vermutlich ein unmenschlich hoher Standard, wenn man sich die Welt fernab von Ratgeberbüchern anschaut. Doch das Autorenduo würde darauf wohl antworten, dass es am Ende darum gehe, ob man selbst zu seinem eingeschlagenen Pfad stehen könne. Verantwortung also in erster Linie gegenüber sich selbst. Aufrichtigkeit nicht als Gefallen für andere, sondern als Instrument, um sich selber treu zu bleiben.
Das Nachwort des Buches fasst die Essenz dieser Lebensreise zusammen, wobei eine Gedichtzeile besonders hervorsticht: «Ich will wissen, ob du mit dir allein sein kannst und ob du den, der dir in diesen einsamen Momenten Gesellschaft leistet, auch wirklich magst.»
Es ist die Aufforderung, sich selbst bedingungslos als «besten Freund» anzunehmen – und diese Gesellschaft immer wieder aufs Neue wertzuschätzen.