Cigaretten Vampir

Nikotin als heimliche Selbstmedikation bei ADHS?

ADHS und Nikotin – eine gefährliche Mischung. Menschen mit ADHS greifen häufiger zu Nikotin. Warum ist das so? Und welche Gefahren birgt das?

ADHS, leider immer noch bekannt als "Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung", betrifft Millionen von Menschen weltweit. Es ist eine neurobiologische Besonderheit/Neurodivergenz, die sich durch Konzentrationsschwierigkeiten, Impulsivität und Hyperaktivität auszeichnet. Andererseits auch durch grosse Stärken wie Kreativität, Ideenreichtum, Loyalität, vernetztes Denken etc., die wir anderswo ausführlich beschrieben haben.

Oft also mehr lebendiges Feuer (Leidenschaft) als Rauch (bzw. Gedankennebel). Doch es gibt leider deutliche Hinweise, dass Menschen mit ADHS stärker dazu neigen, Nikotin zu konsumieren. Also: Rauchen, vapen oder Snus "legen". Aber wieso das? Und was sind die Folgen?

Smoking Woman

Nikotin und das Gehirn bei ADHS: «Schau mal, ich helf’ Dir…»

Nikotin wirkt im Gehirn, indem es den Neurotransmitter Dopamin beeinflusst. Dopamin ist ein Botenstoff, der unter anderem für die Regulierung von Aufmerksamkeit und Belohnung zuständig ist. Menschen mit ADHS haben meist einen niedrigeren Dopaminspiegel, was zu den typischen Symptomen führt: Konzentrationsschwäche, innere Unruhe und eine Tendenz zu impulsivem Verhalten. Dieser Zusammenhang versteht jeder, der mal ein ADHS-Medikament (etwa Ritalin) konsumiert hat, ohne ADHS zu haben. Was uns ruhig macht, führt bei Neurotypischen öfter zu Nervosität, gesteigertem Bewegungsdrang, Schlaflosigkeit oder gar Herzklopfen. «Neuros» sind dann eben auf Ritalin «zu fest auf dem Gas», während wir ADHSler (im zivilisierten, geruhsamen Alltag der Industrieländer) einen gewissen Zuschuss an Dopamin benötigen, um überhaupt erst einmal auf ihrem Niveau zu sein.

Nikotin kann kurzfristig den Dopaminspiegel erhöhen – und so das Gefühl von Fokus und Ruhe vermitteln. Das kennen auch alle Nicht-ADHSler gut. Und es ist genau das, wonach Menschen mit ADHS ständig suchen. Die Wirkung des Rauchs ist jedoch trügerisch. Denn Nikotinabhängigkeit entwickelt sich schnell - und der Körper verlangt nach immer höheren Dosen, um denselben Effekt zu erzielen. Dies führt in eine gefährliche Spirale, aus der schwer herauszukommen ist.

Sarg und Zigi

Nach der Ruhe kommt der Absturz...

Für viele Menschen mit ADHS ist Nikotin – aufgrund der Zusammenhänge oben – schlicht eine Form der Selbstmedikation. Sie berichten, dass Rauchen oder der Konsum von nikotinhaltigen Produkten ihnen hilft, sich genug zu konzentrieren und ihre Impulsivität zu kontrollieren. In der Tat haben Untersuchungen gezeigt, dass Menschen mit ADHS ein bis zu 50% höheres Risiko haben, nikotinabhängig zu werden als Menschen ohne Neurodivergenz.

Diese Selbstmedikation «mit der Droge vom Kiosk» mag kurzfristig funktionieren, doch langfristig überwiegen die negativen Konsequenzen. Die gesundheitlichen Risiken des Nikotinkonsums sind gut dokumentiert. Sie reichen von Atemwegserkrankungen über Herz-Kreislauf-Probleme bis hin zu einem erhöhten Krebsrisiko. Nikotinabhängigkeit ist nicht nur gesundheitsschädlich, sondern verschlechtert die ADHS-Symptome oft noch weiter. Die anfängliche Erleichterung weicht also schnell neuen Problemen: Entzugssymptome, verstärkte Unruhe – und das Gefühl, ohne Nikotin nicht mehr funktionieren zu können.

Nikotin kommt in der Wirkung auch nicht annähernd an jene der ADHS-Medikamente heran. Es wirkt weniger stark, weniger lang und hat grössere Nebenwirkungen (Ritalin ist, trotz seines öfter schlechten Rufes, eines der am längsten erforschten, nicht mehr patentierten Medikamente. 70 Jahre schon).

Schockerlunge

Hard Facts von der Uni Zürich: ADHSler und der leidige Rauch

Unten eine Zusammenfassung der Studie «ADHS und Tabakkonsum bei Erwachsenen…» (2006, Universität ZH) von Dr. Anja Frei. Sie bringt vieles auf den Punkt, was Sie auch als Eltern wortwörtlich «brennend» interessieren dürfte…

  • 55% der erwachsenen ADHS-Betroffenen in der Studie rauchen, im Vergleich zu 31% in der allgemeinen Schweizer Bevölkerung.
  • ADHS-Betroffene beginnen früher mit dem regelmässigen Rauchen und haben einen höheren täglichen Zigarettenkonsum sowie eine stärkere Nikotinabhängigkeit.
  • Viele ADHS-Betroffene nutzen Rauchen effektiv als Form der Selbstmedikation, da Nikotin als Dopamin-Agonist ähnlich wie ADHS-Medikamente wirkt.
  • Nikotinentzugssymptome ähneln häufig den ADHS-Symptomen, was zu erhöhten Rückfallraten führt.
  • Die Aufhörbereitschaft ist bei ADHS-Betroffenen hoch und vergleichbar mit der allgemeinen Bevölkerung, dennoch haben sie aufgrund der starken Entzugssymptome häufiger Schwierigkeiten beim Rauchstopp.
  • Die Studie betont die Notwendigkeit spezifischer Präventionsstrategien für ADHS-Betroffene, einschliesslich einer verbesserten Aufklärung von Lehrpersonen, Therapeuten und Eltern.
  • Für die sekundäre Tabakprävention ist eine medikamentöse Unterstützung zur Milderung der Entzugssymptome bei ADHS-Betroffenen besonders wichtig.
Cowboy im Spital

Natürliche Dopaminquellen als Alternative

Es gibt Wege, den Dopaminspiegel auf natürliche Weise zu erhöhen, ohne auf Medikamente oder Nikotin zurückzugreifen. Besonders die (eh schon bescheidene) Wirkung von Tabak können Sie mit diesen Gewohnheiten komplett ersetzen:

  1. Bewegung und Sport: Körperliche Aktivität ist eine der effektivsten Möglichkeiten, den Dopaminspiegel zu steigern. Schon 30 Minuten moderates Training am Tag können den Dopaminspiegel merklich erhöhen. Insbesondere Ausdauersportarten wie Laufen oder Schwimmen haben einen positiven Effekt auf die Dopaminproduktion. Auch Yoga ist prima.
  2. Ernährung: Bestimmte Lebensmittel können die Dopaminproduktion anregen. Dazu gehören proteinreiche Lebensmittel wie Eier, Fisch und Hülsenfrüchte (Bohnen, Linsen, Kichererbsen etc.). Auch Früchte wie Bananen und Beeren, die reich an Antioxidantien sind, unterstützen den Dopaminhaushalt. Nahrungsergänzungsmittel können auch helfen - Priorität sollte jedoch immer die ausgewogene Ernährung haben.
  3. Ausreichend Schlaf: Schlafmangel kann den Dopaminspiegel senken und die Symptome von ADHS verschlimmern. Ein regelmässiger Schlafrhythmus und ausreichend Schlaf (7–9 Stunden pro Nacht) sind darum entscheidend, um das Gleichgewicht der Neurotransmitter im Gehirn aufrechtzuerhalten. Wenn zu wenig Schlaf an der Tagesordnung: Wenigstens Rückzug, Entspannung und Ruhe/Musik.
  4. Achtsamkeit, Atemübungen und Meditation: Diese Techniken fördern die Entspannung und können dazu beitragen, den Dopaminspiegel zu erhöhen. Regelmässige Meditation senkt das Stressniveau und unterstützt die Produktion von Dopamin sowie anderen positiven Neurotransmittern (z.B. Serotonin).
Nikotinhulk

Exkurs: Die fiese Verlogenheit der Tabakindustrie

Ein weiterer wichtiger Aspekt im Zusammenhang mit ADHS und Nikotin ist die Rolle der Tabakindustrie. Diese hat über Jahrzehnte hinweg gezielt versucht, den Konsum von Nikotin zu fördern – oft auf äusserst manipulative Weise. Ein berüchtigtes Beispiel dafür ist die "Fackeln der Freiheit"-Kampagne aus den 1920er Jahren, bei der Frauen ermutigt wurden, Zigaretten als Symbol für Emanzipation und Unabhängigkeit zu rauchen. Dies geschah zu einer Zeit, als das Rauchen von Frauen noch stark stigmatisiert war. Die Tabakindustrie nutzte geschickt die gesellschaftlichen Strömungen aus, um eine neue Konsumentengruppe zu erschliessen, ungeachtet der gesundheitlichen Risiken. Der braune Filter bei den meisten Zigaretten? Der Lippenstiftabdruck darauf ist weniger aufdringlich als auf den weissen.

Doch die Verlogenheit der Tabakindustrie geht weit über historische Marketingtricks hinaus. Noch in den 2000er Jahren stritt die Industrie in Gerichtsprozessen vehement ab, dass es einen Zusammenhang zwischen Rauchen und Lungenkrebs gebe. In einem berüchtigten Fall mussten die CEOs der größten Tabakkonzerne vor dem US-Kongress aussagen. Dabei bestritten sie unter Eid, dass Nikotin süchtig macht und dass das Rauchen von Zigaretten gesundheitsschädlich ist. So sehen «Unmenschen» aus. Erst durch massive öffentliche und juristische Druckmassnahmen, wie die grossen Sammelklagen der US-Bundesstaaten, musste die Tabakindustrie schliesslich ihre Position aufgeben – und hohe Schadensersatzzahlungen leisten (guter Film dazu hier).

Old Man Smoking

Ein aktuelles Beispiel für die manipulativen Taktiken der Tabakindustrie ist der Trend zum Vaping. Besonders besorgniserregend ist die Vermarktung von süssen Aromen, die gezielt jüngere Konsumenten ansprechen sollen. Unter dem Deckmantel, dass Vaping eine harmlosere Alternative zum Rauchen sei (mag sein, aber süchtig machender!), werden nikotinhaltige Liquids in Geschmacksrichtungen wie Erdbeere, Kaugummi oder Schokolade angeboten. Diese Aromen sind besonders verlockend für Jugendliche und junge Erwachsene, was die Gefahr einer frühen Nikotinabhängigkeit erhöht. Studien zeigen, dass der Konsum von aromatisierten Vaping-Produkten stark mit einem erhöhten Risiko für eine spätere Nikotinsucht verbunden ist.

Zudem: Die ersten Aroma-Vapes stammten nicht von der Tabakindustrie. Diese schluckte vielmehr die erfolgreichen Konkurrenten, sobald die Bedrohung offensichtlich war.

Überdies entwickelte sie sehr schnell sogenannte "Tabakverdampfer", die Nikotin abgeben - jedoch kaum Teer (weil keine Verbrennung). Die neuen spottbilligen Lithium-Akkus machten es möglich. Endlich menschenfreundlich geworden? Aber nein. Jeder gute Dealer weiss: Tote konsumieren nicht. Drum besser krank machen und "bei der Stange halten".

Diese Geschichte zeigt, wie skrupellos die Tabakindustrie vorgeht, wenn es darum geht, ihre Profite zu sichern – selbst auf Kosten der Gesundheit von Millionen Menschen. Reparationszahlungen? Für eine Industrie, die 850 Milliarden US-Dollar gross ist (2023, BIP der Schweiz in dem Jahr 795 Mrd. CHF) etwa so wie Trinkgeld zahlen für Sie.

Fazit

Nikotin mag auf den ersten Blick eine schnelle Lösung für Menschen mit ADHS bieten, doch die langfristigen Schäden sind erheblich. Die Selbstmedikation mit Nikotin führt mittel- bis längerfristig häufig zu einer Verschlechterung der ADHS-Symptome – und zu ernsthaften gesundheitlichen Problemen. Wer unter ADHS leidet, sollte sich deshalb unbedingt professionelle Hilfe suchen und auf bewährte Therapien zurückgreifen.

Nikotin ist also vor allem Rauch keine handfeste Lösung für ADHS. Sein Konsum ist ein Teufelskreis, der die ADHS-Symptome verstärken kann und schwerwiegende Folgen hat. Natürliche Alternativen, die den Dopaminspiegel steigern, sind eine gesunde und wirksame Möglichkeit, die Symptome zu lindern und die Lebensqualität zu verbessern – ganz ohne das Gift aus der ansonsten schönen Tabakpflanze. Warum die das überhaupt produziert? Nun...Schutz gegen Insektenfrass...

PS: Dieser Blog stammt von einem Autor, der vor einigen Monaten selber erst mit Vapen und dann Rauchen angefangen hat – und es seither recht regelmässig tut. Falscher Experte? Falsch gedacht. Erstens kenne ich Zigaretten seit 26 Jahren, wurde davon aber nie süchtig (max. 5-20 pro Monat). Zweitens ist, wer eine Sucht im Ansatz kennt und sich darüber informiert, der BESTE Experte dafür – weil er aus Erfahrung spricht. Drittens: Allen Carr. Der Mann half mit seinem Buch "Endlich Nichtraucher" Millionen von Rauchern. Schlüsselzitat: "Das Rauchen aufzugeben ist nicht der Verlust eines Vergnügens, sondern die Rückeroberung Ihrer Freiheit." Auch er lebte noch 23 Jahre als Nichtraucher. Todesursache mit 72: Lungenkrebs, you too. Theorie kann jeder. Sogar die Künstliche Intelligenz (KI). Empirie und Herzblut bzw. Lungenblut eben nicht.

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