Turm stürzt ein

Kaum Stabilität: Begleitprobleme bei ADHS

ADHS-Betroffene haben etwa viermal häufiger Suchtprobleme als neurotypische Menschen. Bis zu 10 Mal häufiger werden sie depressiv. Die Liste lässt sich leider fortführen – auch deshalb ist die korrekte Diagnose von ADHS so wichtig.

Schwierigkeiten mit gerichteter Aufmerksamkeit, hohe Impulsivität, rasende Gedanken und/oder enormer Bewegungsdrang: die bekannten Symptome von Menschen mit ADHS. „Haben wir das nicht alle mal?“, lautet der nachvollziehbare Einwand neurotypischer Menschen. „Verlegen wir nicht alle öfter mal unsere Schlüssel, rasten schnell mal aus oder haben Mühe bei der Konzentration am PC?“.

Natürlich, lautet die Antwort. Das ist alles völlig normal. Menschen mit ADHS sind aber nicht „mal“ vergesslich, ungeduldig, unkonzentriert, nervös/hyperaktiv oder reagieren übertrieben emotional: Sie sind all das in einem Ausmass, das ihren Alltag erheblich beeinträchtigen kann. Doch Menschen mit ADHS entwickeln auch Kompensationsstrategien. Sie versuchen, sich soweit anzupassen, wie es nur geht, um nicht als "abnormal" wahrgenommen zu werden. Nicht zuletzt aufgrund dieses enormen Druckes entwickeln vielen von ihnen letztlich eine Depression. Oder sie konsumieren Drogen wie Alkohol bzw. Stimulanzien. Die häufigsten Begleitprobleme von untherapiertem ADHS in der Übersicht:

Mann trinkt Wein

ADHS und Suchterkrankungen

Erwachsene mit ADHS haben ein deutlich erhöhtes Risiko, Substanzmissbrauch zu betreiben - Schätzungen zufolge liegt dieses Risiko viermal höher als bei Menschen ohne ADHS. Eine Überprüfung der Literatur offenbart hohe Raten von Alkoholmissbrauch (17 bis 45 Prozent) und Drogenmissbrauch (9 bis 30 Prozent) bei Erwachsenen mit ADHS. Obwohl Jugendliche mit ADHS anfangs ähnliche Raten von Substanzmissbrauch aufweisen, beginnen sie tendenziell früher mit dem Konsum von Alkohol und anderen Drogen, sie konsumieren häufiger und haben mehr Schwierigkeiten, den Drogenkonsum wieder aufzugeben (Hinweis: Alkohol sehr bewusst als Droge kategorisiert, weil es mit Tabak zusammen die tödlichste ist. 2022 starben in DE 1'990 Menschen an illegalen Drogen, dagegen ca. 74'000 Menschen an Alkohol & Tabak).

Die Gründe dafür sind vielfältig. Eine Person mit ADHS zeigt oft impulsives Verhalten und ist daher leicht beeinflussbar. Im ständigen Streben nach neuen Erfahrungen ("Sensation Seeking") neigen ADHS-ler zu risikoreichem Verhalten, auch im Umgang mit Drogen. Da sie meist nicht weit vorausplanen, sind sie besonders anfällig für die kurzfristig euphorisierenden Effekte von Substanzen. Zudem wirken illegale Drogen wie Kokain exakt gleich wie das Medikament Ritalin, nur in einem intensiveren Mass und während viel kürzerer Zeit. Für Amphetamine gilt ähnliches – sie werden sogar eins zu eins als ADHS-Medikamente eingesetzt (einfach in einer retardierten Form). Menschen mit ADHS betreiben also „Selbstmedikation“, wenn sie bei den Stimulanzien landen und deren Vorteile entdecken. Sie merken, dass sie dadurch fokussierter und ruhiger werden.

Umweltfaktoren sind ebenfalls von Bedeutung. Symptome wie verminderte Aufmerksamkeit und unkontrolliertes Verhalten können dazu führen, dass ein Jugendlicher als desinteressiert, vergesslich und chaotisch wahrgenommen wird. Trotz normaler Intelligenz kann es zu schlechten Schulnoten kommen, was zur sozialen Ausgrenzung führt. Die erhöhte Impulsivität und das Aufmerksamkeitsdefizit reduzieren die Chancen auf Erfolg bei psychoedukativen Interventionen oder langfristigen therapeutischen Ansätzen. Häufig fehlt in dieser schwierigen Situation die Unterstützung der Eltern, insbesondere wenn diese selbst psychische Probleme haben. Es ist bekannt, dass Eltern von Kindern mit ADHS häufiger Alkohol- und Stimulanzien-Abhängigkeiten, Angststörungen, Stimmungsschwankungen und Sozialverhaltensstörungen aufweisen als die allgemeine Bevölkerung.

Deprimierte Frau

ADHS und psychische Krankheiten

Menschen mit ADHS leiden weit häufiger an psychischen Erkrankungen als die Allgemeinbevölkerung, insbesondere Angststörungen und Depressionen. Über 80 Prozent der Erwachsenen mit ADHS haben mindestens eine psychische Begleiterkrankung, und 60 Prozent leiden sogar unter mehreren. ADHS erhöht also das Risiko für weitere psychische Störungen. Darüber hinaus nimmt das Risiko für Depressionen mit zunehmendem Alter zu - bei Personen mit ADHS werden Depressionen bis zu zehnmal häufiger festgestellt.

Doch was könnte der Grund für die hohe Prävalenz von Begleiterkrankungen bei ADHS sein? Es wird angenommen, dass genetische Faktoren eine Rolle spielen, da Verbindungen zwischen ADHS, Depressionen, bipolarer Störung, Migräne und Autismus festgestellt wurden. Die genauen Zusammenhänge sind jedoch noch nicht vollständig geklärt.

Es ist jedoch gut bekannt, dass Menschen mit ADHS schon von Kindheit an häufig Misserfolge, Niederlagen und Ablehnung erleben. ADHS-Kinder sind bemüht und möchten im Schulunterricht aufmerksam sein und erfolgreich abschneiden. Sie erleben indes auch täglich quälende Unruhe, den Drang zur Aktivität, das Unvermögen, still zu sitzen und die Tendenz, impulsiv zu sprechen. Sie beabsichtigen nicht, andere zu verärgern, aber ihre angeborene Schwierigkeit, Emotionen zu regulieren, führt dazu, dass sie häufig die Kontrolle verlieren und andere verletzen. Sie geraten mehr und mehr ins soziale Abseits, ohne dies zu verstehen. Soziale Ausgrenzung bedeutet Stress – und Stress begünstigt Erschöpfung sowie Depression.

Erdnuss am Boden

ADHS und Allergien

Kinder mit ausgeprägtem ADHS leben von Beginn an unter Stress. Ihre angeborene Störung bei der Informationsverarbeitung führt aufgrund von Reizüberflutung und dem Mangel an Botenstoffen (u.a. Dopamin) zu Konzentrationsproblemen, Hyperaktivität und Impulsivität - den Kernsymptomen von ADHS.

Negativer emotionaler Dauerstress stellt also eine Verbindung zwischen ADHS und allergischen Krankheiten dar. Als Hauptverursacher von anhaltendem negativem emotionalem Stress kann ADHS eine bestehende Allergie demnach verschlimmern oder, bei entsprechender genetischer Anlage, durch eine Schwächung des Immunsystems erst hervorrufen. Im Durchschnitt sind Kinder mit ADHS mindestens doppelt so häufig von einer allergischen Erkrankung betroffen wie Kinder ohne das Syndrom.

Wichtig: Die Allergie verursacht kein ADHS, sondern das ADHS kann eine Allergie verschlimmern oder bei vorliegender Veranlagung sogar triggern. Eine effektive Behandlung der Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung kann hingegen zur psychischen Stabilisierung beitragen, wodurch sich auch die allergischen Reaktionen vorübergehend oder dauerhaft reduzieren lassen.

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