Banane und Nektarine

ADHS und Sex: Ein Spagat zwischen Leidenschaft und…Leiden?

Kreativ, leidenschaftlich, aber auch impulsiv: ADHS hat viele Gesichter – im Bett ebenso. Doch was passiert, wenn die Aufmerksamkeit komplett woanders ist?

ADHS, das Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätssyndrom, wirkt sich auf viele Lebensbereiche aus – auch auf die Sexualität. Menschen mit ADHS erleben häufig extreme Emotionen, sind impulsiv und haben Schwierigkeiten, sich zu konzentrieren. Diese Symptome beeinflussen nicht nur den Alltag, sondern auch das Liebesleben. Welche Herausforderungen entstehen dabei - und welche positiven Seiten bringt ADHS in die Sexualität ein? Dazu erfahren Sie unten mehr.

Erdbeeren

Drei ADHS-Kernsymptome – alle wirken sich auf den Sex aus

ADHS prägt das Sexualleben auf vielfältige Weise. Die Kernsymptome – Impulsivität, Hyperaktivität und Aufmerksamkeitsprobleme – spiegeln sich auch in sexuellen Beziehungen wider. Impulsives Verhalten führt etwa zu spontanen, ungeplanten sexuellen Begegnungen - von Männern wie Frauen mit ADHS.

Impulsivität und Risikobereitschaft: Menschen mit ADHS neigen zu impulsivem Verhalten, was sie anfälliger für riskantes sexuelles Verhalten macht, wie z.B. ungeschützten Geschlechtsverkehr, mehrere Sexualpartner oder frühzeitige sexuelle Aktivität als Teenager. Das erhöht das Risiko für ungewollte Schwangerschaften und sexuell übertragbare Infektionen (STIs). Eine kanadische Studie ergab, dass Frauen mit ADHS 3 bis 4 Mal so häufig eine ungewollte Schwangerschaft melden als Frauen ohne ADHS.

Einige Studien deuten auch darauf hin, dass Frauen mit ADHS möglicherweise häufiger Abtreibungen in Betracht ziehen, da sie sich in ihrer Rolle als Mutter unsicher fühlen - oder die zusätzlichen Herausforderungen der Elternschaft in Kombination mit ADHS fürchten. Und in einer Studie aus den USA litten Jugendliche/junge Erwachsene mit ADHS ca. 2 Mal so häufig an sexuell übertragbaren Krankheiten wie ihre neurotypischen Kollegen/Kolleginnen.

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Aufmerksamkeitsprobleme: Menschen mit ADHS fällt es oft schwer, sich auf eine Sache zu konzentrieren – auch im Bett. Gedanken können abschweifen, der Fokus verloren gehen – was zu Frustration führen dürfte. Der Partner fühlt sich möglicherweise nicht wahrgenommen oder nicht ausreichend beachtet.

Das ist auch der Fall, wenn z.B. ein Partner/eine Partnerin mit unaufmerksamem ADHS (ADHS-I) aufgrund von empfundenem Stress in die sogenannte «Freeze»-Reaktion verfällt: Der komplette Rückzug in sich selbst, inklusive verloren gehendem Körpergefühl und Kompensationshandlungen für die mangelnde sensorische Stimulation/die grosse innere Unruhe (etwa Alkohol, Handysucht, Medienkonsum etc.). Dieser Rückzug wird dann z.B. als Desinteresse oder böser Wille interpretiert – denn verständlicherweise leiden auch die Partner/Partnerinnen an der scheinbaren «Gefühlskälte» des anderen.

Nervosität/Hyperaktivität: Hyperaktivität äussert sich im sexuellen Kontext häufig als gesteigertes Verlangen oder Unruhe, was sowohl positiv wie auch belastend sein kann (je nachdem, wie der/die Partner/in z.B. mit dem grossen Sexualdrang oder dem Bedürfnis nach ausgefallenen Praktiken etc. umgehen). Die ständige Suche nach neuen Reizen führt gerade ADHSler zu intensiveren Erlebnissen, vielleicht sogar in den «Sexhimmel» (danke), erschwert jedoch die Entspannung und das Geniessen ruhiger, intimer Momente.

Generell lässt sich sagen: Sowohl hyperaktive ADHSler (ADHS-HI) wie die innerlich angespannten «Tagträumer» (ADHS-I) sind «Sensation Seekers». Doch bei ADHS-HI dürfte dieser Drang eher externalisiert/umgesetzt werden, während ADHS-I-Typen vielleicht der Pornosucht verfallen (natürlich alles auch abhängig von Extroversion/Introversion und den eig. Möglichkeiten).

Mutter und Schraube

Stärken: ADHS als DAS Kraut gegen Langeweile

Trotz der Herausforderungen bringt ADHS natürlich auch positive Seiten in die Sexualität ein. Menschen mit ADHS sind oft kreativ und spontan – Eigenschaften, die das Liebesleben sehr bereichern. Sie sind offen für neue Erfahrungen, experimentierfreudig und bringen eine Leidenschaft mit, die für aufregende und abwechslungsreiche sexuelle Erlebnisse sorgt.

Diese Kreativität zeigt sich z.B. in einer spielerischen Herangehensweise an Sexualität. Routine langweilt schnell, was dazu führt, dass Menschen mit ADHS ständig auf der Suche nach neuen Impulsen sind. Diese Neugier sorgt dafür, dass das Liebesleben selten eintönig wird.

Die intensive Leidenschaft, die viele Menschen mit ADHS verspüren (wenn mit ihrem Zentrum verbunden, also in guter psychischer Verfassung), begünstigt eine starke emotionale und körperliche Bindung. Diese Intensität kann Beziehungen vertiefen – und langfristig zu einem erfüllten Sexualleben beitragen.

"Bärenfalle": Narzisstische Tendenzen und ADHS

Ein spannender Zusammenhang in Beziehungen ist jener zwischen "Narzissten" und ADHS. Dazu ist zu sagen, dass die Diagnose "Narzisstische Persönlichkeitsstörung" bloss selten gestellt wird. Sie betrifft nur etwa 0.5% bis 1% aller Menschen. Und: Bis zu einem gewissen Grad sind wir alle narzisstisch. Dieser Blog hier ist z.B. "kreativer Narzissmus" (will gelesen, geliked, geteilt werden). 

Aber: Ungesunde narzisstische Tendenzen im Beziehungskontext und im beruflichen Kontext sind relativ häufig. Sie können als "grandios" auftreten (extrovertiert, will bewundert werden, manipuliert bewusst zum eigenen Nutzen, arrogant, rücksichtslos, hat aber ein sehr fragiles Ego) oder als "vulnerabel" (zurückhaltend/introvertiert, jedoch sehr Ego-fokussiert, Opferhaltung, Manipulation, "Blaming", sehr fragiles Ego).

Zündholz

Das Problem bei ADHS: Grosse Empathie (mitfühlen bis zum Leiden) - aber fehlende Grenzen ("People Pleaser", da oft Aussenseiter, suchen Akzeptanz). Wo narzisstische Tendenzen (NT) auf ADHS treffen, wird es vertrackt: NT-Geprägte suchen nach der wahren Selbstliebe, ADHSler nach mehr Akzeptanz/genug/"normal" sein. Doch beide können sich nicht geben, was sie brauchen: Die Akzeptanz bei NT entstand durch äussere Bestätigung, durch "Maskieren" und Verstellung. Die Selbstliebe bei ADHS ist meist Konsequenz eines jahrelangen Kampfes um Integration - letztlich "Kapitulation" - und innerlich geborene Notmassnahme. Sie kann nicht geschenkt werden. 

So oder so haben beide Seiten einen "Nachholbedarf", können ihr Manko aber nicht beim Partner befriedigen. Das Resultat: Chaos. NT neigen zur (erfolglosen) Fortsetzung der Suche im Aussen. ADHSler werden ggf. stark verletzt und auf ihren Kern zurückgeworfen. 

Dr. Ramani Durvasula, klinische Psychologin und Professorin an der California State University, bezeichnet Menschen mit ADHS deshalb als "narcissist slayers". Sie haben ein mühsam aufgebautes, aber stabiles Ego-Konzept, Narzissten ein künstlich aufgebautes, fragiles Ego. Bei ADHS läuft also alles Narzisstische ins Leere. Denn die grössten/stärksten Kritiker von ADHSlern waren lebenslang...sie selbst (und das ist immer der härteste Kampf). Zudem demaskieren wir gnadenlos, scheuen keinen "Gesichtsverlust" (unzählige Male verloren) und keinen Gruppendruck (selten Teil davon gewesen). Kurz: Narzissten beissen auf Granit (nicht angreifbare Person) und ihr künstliches Ego bröselt unter der grundehrlichen ADHS-Kritik.

Übrigens kreuzfalsch - vor allem auch dumm - ist die Ansicht, das menschliche Ego sei unnötiger Ballast. Das Ego ist der Teil der Psyche, der zwischen den Trieben (Es), moralischen Ansprüchen (Über-Ich) und der Realität vermittelt - um bewusstes Handeln zu ermöglichen. Die grössten Egoisten? Menschen ohne stabiles Ego. Sie handeln entweder rein triebgesteuert - oder nur gemäss ihrem ureigenen Idealismus.

Die Lösung für das NT/ADHS-Dilemma: Erkennen eigener "Schatten" und Akzeptanz dieser Anteile der Persönlichkeit. ADHSler dürfen lernen, dass sie sehr wohl "genug" sind und auf ihre Art dazugehören. NT-Geprägte, dass Selbstliebe niemals von aussen kommen kann. Ausnahme sind die erwähnten 0.5-1% klinischen "Narzissten". Psychologen halten sie mehrheitlich für untherapierbar. Der Grund ist dort ein so stark im Aussen aufgebautes Ego, dass eine Therapie dem psychischen Tod gleichkäme. Eine Implosion des eigenen Ichs - in die Leere des Nichts.

scissor sisters

Und wie geht man das Sexthema bei ADHS am besten an?

Kommunikation bleibt der Schlüssel bei Paaren und involviertem ADHS. Partner sollten offen und regelmässig über ihre Bedürfnisse sprechen und Verständnis für die Situation des jeweils anderen entwickeln. Es gibt Zeiten, da ist das schlicht nicht mehr möglich, weil der Stress längst zu gross geworden ist (etwa: Neues Kind, Doppelverdiener-Paar). Spätestens dann – besser schon am Anfang der Beziehung – sollten Sie als betroffenes Paar eine (vorbeugende) Paartherapie/Workshop zu ADHS und Partnerschaft besuchen.

Je nach Schweregrad ist ADHS alles andere als «ein Klacks» – und auch sogenannt «hochfunktionale» ADHSler (beruflich gut integriert, vielleicht auch erfolgreich) schaffen nicht alles alleine im Gegenteil. Gerade «ich muss noch mehr machen», «ich genüge nicht» dürften die tödlichsten Mantras für eine erfüllende Sexualität sein. Oder kurz: Entspannung null, Selbstwert irgendwann im Keller, Erotik reif für die Gefriertruhe.

Mindfulness – also Achtsamkeit – hilft, sich besser auf den Moment zu konzentrieren und die sexuelle Erfahrung intensiver zu erleben (binaurale Musik, Meditationen, Atemübungen). Massagen oder Tantra-Workshops können das Gefühl für den eigenen Körper und seine Bedürfnisse steigern. Gerade bei ADHS-I, also den «Hans-guck-in-die-Lufts», «Tagträumern», «Hobbyphilosophen» kann ADHS schnell mal bedeuten, sich nur noch als eine Art wandelnder Kopf in den Wolken zu erleben. Das sensorische Erlebnis kann so weit zurückgehen, dass auch Streicheleinheiten nicht mehr genossen, kleine Aufmerksamkeiten nicht mehr empfunden und wertgeschätzt werden. Ein innerer Abschluss, ein «Leben im Kokon» – und auch ein veritabler Sexkiller.

Flasche und Korken

Therapie und Beratung bieten wertvolle Unterstützung. Eine Sexual- oder Paartherapie hilft konkret, die Auswirkungen von ADHS auf die Sexualität zu verstehen – und Strategien zu entwickeln, um damit umzugehen (Eigenverantwortung bei beiden, kein Partner Blaming etc.). Auch der Umgang mit ADHS-Medikamenten spielt eine Rolle. Diese Medikamente können das sexuelle Verlangen und die Fähigkeit, Erregung zu empfinden, beeinflussen. Es ist wichtig, dies mit dem behandelnden Arzt zu besprechen – und gegebenenfalls Anpassungen vorzunehmen.

So mag eine Dosis für Arbeitstage zwar unverzichtbar sein, um die eigenen Fähigkeiten voll konzentriert nutzen zu können. An einem Wochenende aber mag sie zu hoch sein, weil «zu beruhigend». Resultat: Der ADHS-Partner/die ADHS-Partnerin dürfte zwar voll «im eigenen Fokus sein» (frontaler Kortex, Denkermodus) – doch «das Steinzeitgehirn» (limbisches System, Emotionen und Triebe) bleibt auf der Strecke.

Gesucht wird dann vielleicht die Lösung auf irgendwelche inneren Fragen oder intellektuellen Probleme. Aber kaum der schnellste Weg in die Unterhose/den Slip des Partners/der Partnerin. Nicht so spritzig. 💦

Toys

PS: Die zwei Schwerter sind für Homo-Männer, die Scheren für Scissor Sisters. Also bitte keine mühsamen Political-Correctness-Kommentare. Expliziter geht es mit KI Bildgeneratoren nicht. Die Amis haben lieber Krieg, Blut und Eingeweide als Sex (das klappt mit bisschen probieren problemlos). Zudem kann die KI auch keinen Europa-Hotdog IM Brötchen. Geht nicht.

 

ANLASS ZUM THEMA: 

"Kreative Visualisierung - ADHS Sex- und Beziehungskarussell": Ein Anlass mit Referaten und Workshops.

Datum: Samstag, 21. September 2024 (von 14 bis 18 Uhr)

Ort: w1nner Netzwerk, Albisriederstrasse 226, Zürich, CH

Kosten: Einzelpersonen 89 CHF, Paare 170 CHF (Sitzplätze)

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