Bub streitet über Gaming

ADHS und Gaming: Digitaler Helfer oder zerstörerischer Bösewicht?

Videospiele bieten ADHS-Kindern eine Welt voller Abenteuer, in der sie sich oft konzentrierter fühlen als im Alltag. Doch es droht Gaming-Sucht. Wie können Sie als Eltern für Ihr Kind die Balance finden – und was gibt es zu beachten?

Videospiele sind ein fester Bestandteil im Leben vieler Kinder, besonders bei solchen mit ADHS. Eltern stehen dann oft vor der Frage, ob Gaming ihren Kindern hilft oder eher schadet. Denn Videospiele bieten sowohl viele Vorteile wie auch einige gravierende Risiken – vor allem in Bezug auf das Suchtpotenzial. In diesem Artikel werfen wir einen Blick darauf, wie Gaming auf Kinder mit ADHS wirkt, welche Spiele sogar förderlich sein können – und was Sie als stets Eltern beachten sollten.

Die Faszination von Gaming bei ADHS

Kinder mit ADHS neigen zu Hyperfokus, einer intensiven Konzentration auf eine bestimmte Aufgabe. Genau das macht Videospiele so verlockend. Durch schnelle Reize, farbenfrohe Welten und sofortige Belohnungen können sich ADHS-Betroffene oft besser auf Spiele konzentrieren als auf schulische Aufgaben. Sie können es sogar so gut, dass sich das Umfeld verwundert und oft verärgert fragt, wieso denn bei den Hausaufgaben Konzentrations-Flaute herrscht. Das muss doch schon fast böser Wille sein?

 

Klar ist: Viele Games verlangen taktisches/strategisches Denken, flexible Problemlösungen und schnelle Reaktionen. Sie fördern also Fähigkeiten, die ADHS-Kinder (bzw. alle Kinder) stärken und ihnen im Leben nützen. Und: Das sind typische Jäger-Fähigkeiten - was direkt zu einer interessanten biologischen/soziologischen ADHS-Theorie führt. Durch Studien erwiesen ist auch: Wer als Kind 3D-Spiele spielt, entwickelt ein besseres Orientierungsvermögen in der realen Welt. Wenig verwunderlich, denn die 3D- Welten in modernen Games sind perspektivisch akkurat gestaltet und mit fotorealistischer Grafik bestückt.

 

Doch was auf den ersten Blick nur positiv erscheint, kann auch zu nervlichen und sozialen Problemen führen. Der ständige Bedarf an schnellen Belohnungen verstärkt nämlich impulsives Verhalten – dabei sind ADHS-Kinder ja schon von Natur aus viel impulsiver und kämpfen öfter regelrecht mit ihren Stimmungsschwankungen (bzw. auch ihr Umfeld, bei Wutanfällen).

Auf einen Blick: Vor- und Nachteile von Gaming bei ADHS

Vorteile fürs Kind: Gaming bietet nicht nur Spass, sondern auch Raum für das Erlernen wichtiger Fähigkeiten. So ist etwa das Spiel Portal ein Puzzle-Plattformer, der logisches Denken und Kreativität fördert. Und zwar sogar in der «vierten Dimension» (also Zeit). Spieler müssen nämlich physikalische Rätsel lösen, um Hindernisse zu überwinden. Sie öffnen geschickt Portale, von denen sie wissen, dass sie zu einem anderen Raum führen – und von dort wieder weiter.

 

Für ADHS-Kinder ist das Spiel besonders nützlich, weil es strategisches Denken und Problemlösungen in einem kontrollierten, aber herausfordernden Umfeld trainiert. Erfolgserlebnisse stellen sich sofort ein, sobald man wieder einen Raum weiterkommt. Geduld ist aber ebenfalls gefragt, denn irgendwie sollte man es zum Ausgang schaffen – und es lauern viele Sackgassen.

 

Auch das rundenbasierte Strategiespiel Civilization bietet eine hervorragende Plattform, um Geduld und langfristiges Planen zu üben. Spieler führen eine Zivilisation von der Antike bis zur Moderne und lernen, die Konsequenzen ihrer Entscheidungen weitreichend zu überdenken – eine wertvolle Fähigkeit für Kinder, die Schwierigkeiten haben, ihre Impulsivität zu kontrollieren. Denn die Action in dem Spiel ist sehr überschaubar. Gefragt ist kein schnelles «Knöpfe hauen» sondern wohlüberlegte Aktionen, um das eigene Gebiet auszudehnen und die Forschung für die eigene Zivilisation voranzutreiben – von der Steinzeit bis ins Weltraumzeitalter. 

Spiele wie Rocket League verbessern derweil die Hand-Augen-Koordination und fördern schnelles Denken. Dieses Spiel, bei dem Autos Fussball spielen, bietet kurze, actiongeladene Partien, die besonders für ADHS-Kinder attraktiv sind – da sie schnelle Erfolgserlebnisse und sofortige Belohnungen erleben können, ohne stundenlang in ein Spiel vertieft zu sein.

 

Nachteile fürs Kind: Es gibt leider auch deftige Schattenseiten von Smartphone-, Tablet- und PC-/Video-Spielen. Exzessives Spielen kann erstens dazu führen, dass Kinder andere Verpflichtungen wie das Lernen vernachlässigen. Die Verlockung der schnellen Belohnung, die beim Gewinnen und Fortschritt im Spiel im Hirn gemeldet wird, kann süchtig machen – so süchtig wie Drogen.

 

Das Resultat: Schulische Leistungen verschlechtern sich, soziale Interaktionen im echten Leben nehmen ab, das Kind kann vereinsamen, statt Freundschaften zu pflegen. Ausserdem neigen viele ADHS-Kinder dazu, sehr gereizt zu reagieren, wenn sie aus dem Spiel gerissen werden (Hyperfokus!) – ein Zeichen dafür, dass das Spielverhalten in ungesunde Bahnen gerät.

Suchtpotenzial: Warum Gaming zur Gefahr werden kann

Gerade bei Kindern mit ADHS besteht eine erhöhte Gefahr, in eine Suchtspirale zu geraten. Der Grund dafür liegt tief im Gehirn: Dopamin. Dieser Botenstoff spielt eine entscheidende Rolle bei der Steuerung von Motivation, Belohnung und Aufmerksamkeit. Bei Menschen mit ADHS arbeitet das dopaminerge System nicht optimal – das Gehirn produziert zu wenig Dopamin oder kann es nicht richtig verarbeiten. Dadurch fällt es schwerer, sich zu konzentrieren oder motiviert zu bleiben.

 

Darum werden ja auch Stimulanzen wie Ritalin und Amphetamin in der ADHS-Therapie eingesetzt.

 

Videospiele sind darauf ausgelegt, ständige kleine Belohnungen zu bieten – sei es durch das Gewinnen von Punkten, das Freischalten neuer Level oder den Sieg gegen Gegner. Jedes dieser Erfolge löst eine Freisetzung von Dopamin im Gehirn aus, ähnlich wie die Ritalin-Tabletten, aber viel schneller (und darum süchtig machend). Für ein ADHS-Gehirn, das ohnehin nach dieser Belohnung „hungert“, sind diese Dopamin-Stösse besonders verlockend bis unwiderstehlich. Die ständigen Erfolgserlebnisse verstärken die Bindung zum Spiel – und machen es schwer, aufzuhören.

Ein Alarmsignal für Eltern sollte sein, wenn Ihr Kind nur noch über Spiele spricht, vermehrt wütend wird, wenn es aufhören soll oder andere Interessen vernachlässigt. In solchen Fällen ist es wichtig, klare Grenzen zu setzen und Alternativen zu bieten. Gemeinsame Aktivitäten wie Sport oder das Spielen von Brettspielen können helfen, den Fokus zu verschieben und den Drang nach Dopamin zu reduzieren.

 

Spiele, die ADHS-Symptome sogar managen können

Nicht alle Spiele fördern jedoch Suchtverhalten oder führen zu Problemen. Einige Spiele bieten sogar Vorteile für ADHS-Kinder. Besonders jene, die das Gehirn fordern und gleichzeitig eine ruhige Umgebung bieten, sind geeignet. Spiele wie Stardew Valley oder Animal Crossing ermöglichen es, in entspannende Welten einzutauchen.

 

Bei Stardew Valley bauen Spieler eine heruntergekommene Farm auf und pflegen sie über Zeit – ein Spiel also, das auf langfristige Belohnungen und Geduld setzt, statt auf sofortige Erfolge. Animal Crossing bietet eine ähnlich beruhigende Umgebung, in der Kinder sich kreativ entfalten und soziale Interaktionen in einer kontrollierten Welt üben können.

 

Ein weiteres bemerkenswertes Spiel ist EndeavorRx, das speziell entwickelt wurde, um ADHS-Symptome zu reduzieren. Es ist das erste von der FDA (US-amerikanische Arzneimittelbehörde) zugelassene therapeutische Videospiel für ADHS. Hier werden gezielte Herausforderungen eingesetzt, um die Aufmerksamkeitsspanne zu erhöhen – und das Gehirn spielerisch zu trainieren.

Zeitmanagement – Der Schlüssel zu einem gesunden Umgang

Die Balance zwischen Spielzeit und anderen Aktivitäten zu finden, ist essenziell. Zeitmanagement kann bei Kindern mit ADHS schwierig sein, aber es ist auch unerlässlich, um negative Auswirkungen zu vermeiden. Eltern können hier unterstützend wirken, indem sie klare Regeln aufstellen, zum Beispiel mit festen Spielzeiten und Pausen. Auch das Nutzen von Timer-Apps und visuellen Timern, die nach einer gewissen Zeit Pausen signalisieren, kann hilfreich sein.

 

Wichtig ist, dass Gaming nicht zur einzigen Freizeitbeschäftigung wird. Sportliche Aktivitäten oder kreative Hobbies sollten weiterhin gefördert werden. Ein guter Ansatz ist, das Gaming als Belohnungssystem für andere Aktivitäten zu nutzen (natürlich nicht für solche, die selbstverständlich sein sollten). So wird das Spiel zu einem Anreiz, aber nicht zum Lebensmittelpunkt. 

Therapeutische Nutzung von Gaming

In der Forschung wird Gaming zunehmend als ergänzende Therapie bei ADHS untersucht. Studien zeigen, dass bestimmte Spiele das Arbeitsgedächtnis verbessern, die Konzentrationsfähigkeit steigern und das Stresslevel senken können. Besonders Virtual-Reality- und Augmented-Reality-Anwendungen bieten grosses Potenzial, um spielerisch therapeutische Ziele zu erreichen. Solche Ansätze sind nicht neu, denn das Gehirn macht oft keinen Unterschied zwischen real erlebten Impulsen oder solchen aus der Gaming-Welt.

 

Bereits vor Jahren sorgte z.B. ein VR-Spiel für Gesprächsstoff, das Kindern im Spital die Schmerzen deutlich senkte. Die kleinen Patienten mit Verbrennungen dritten Grades bewegten sich in dem Game in virtuellen Eiswelten – und spürten dadurch weniger innere Hitze/Schmerzen von den Brandwunden.

 

Eltern sollten darum offen für neue Ansätze sein – und gemeinsam mit Fachleuten die vielleicht sogar heilenden Möglichkeiten von Produkten wie einer VR-Brille ausloten. Wichtig bleibt jedoch, dass das Gaming konsequent überwacht und kontrolliert wird, um negative Auswirkungen zu minimieren.

FAZIT: Gaming ok, auch bei ADHS – aber sehr genau hinschauen

Videospiele können sowohl Vor- als auch Nachteile für Kinder mit ADHS haben. Weil diverse Spiele aber ein grosses Suchtpotenzial haben, sind konsequente Grenzen besonders wichtig. Denn ADHS-Kinder haben ebenso das Potenzial, zu wahren Gaming-Meistern aufzusteigen, wie sie auch (medizinisch erwiesen) um einiges suchtgefährdeter sind.

 

Mit klaren Regeln, einer guten Balance zwischen Spielzeit und anderen Aktivitäten sowie der Auswahl geeigneter Spiele, kann Gaming sogar förderlich für die kognitive Entwicklung sein (Konzentration schulen, Problemlösungsfähigkeiten ausbauen, Ausdauer lernen, 3D-Orientierung). Es gibt zudem viele Spiele, die sich abwechselnd oder gar gleichzeitig zu zweit (bis zu viert) spielen lassen. Wieso also nicht REALE Freunde einladen, um den Game-Nachmittag zusammen zu geniessen?

 

Als Eltern sollten Sie unbedingt darauf achten, frühzeitig Grenzen zu setzen und Ihre NEINs so konsequent wie nur möglich zu äussern. Wiederholt und mit Nachdruck, wenn es denn sein muss. Das mag sich manchmal ein bisschen anfühlen wie «der Kampf gegen einen Endgegner», zumal auch Ihr ADHS-Kind einen sehr STARKEN WILLEN haben wird, was dieses Thema angeht.

 

Aber hey: Das ist keine Loose-Win-Situation. Bei kontrolliertem Umgang mit Gaming gewinnen Sie als ganze Familie.

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