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ADHSler: Jäger in einer Welt der Bauern?

Spannend ist sie auf jeden Fall: Die Hunter-Farmer-Hypothese zu ADHS. Haben Sie eine Diagnose? Nutzen Sie Ihre Fähigkeit zu feinster Wahrnehmung, selektivem Hyperfokus und gnadenloser Jagd nach Stimuli...

Im Laufe der Jahre haben Forscher verschiedene Theorien entwickelt, um die Ursachen und den evolutionären Hintergrund von ADHS zu erklären. Eine der wohl spannendsten ist die sogenannte "Hunter-Farmer-Hypothese", die vom amerikanischen Autor Thom Hartmann stammt. Er sieht ADHS als genetische Normvariante, die in eine komplett industrialisierte Welt der Organisatoren und Verwalter weniger gut reinpasst als in frühere Gesellschaften der Jäger und Sammler. Menschen mit ADHS seien quasi die Jäger-Überbleibsel aus dieser Zeit.

Bauer

In diesem Blog werden wir uns fünf Eigenschaften von ADHS ansehen, die Hartmann zufolge für Jäger und Sammler von Vorteil gewesen sein könnten, aber in der heutigen landwirtschaftlich geprägten Gesellschaft weniger nützlich sind. 

  1. Hyperfokussierung: Eine der häufigsten Eigenschaften von ADHS ist die Fähigkeit, sich intensiv auf eine bestimmte Aufgabe oder ein bestimmtes Interesse zu konzentrieren, oft auf Kosten anderer Aufgaben oder Verpflichtungen. Laut Hartmann wäre diese Hyperfokussierung in der Welt der Jäger und Sammler von grossem Nutzen gewesen, um sich auf die Verfolgung von Beute oder das Auffinden von essbaren Pflanzen zu konzentrieren. In einer landwirtschaftlichen Gesellschaft, in der Routine und Struktur von zentraler Bedeutung sind, kann diese Tendenz jedoch zu Schwierigkeiten bei der Erfüllung alltäglicher Pflichten führen. 

  2. Spontaneität und Kreativität: Viele Menschen mit ADHS sind auffallend spontan und kreativ und denken oft "über den Tellerrand hinaus". Hartmann argumentiert, dass diese Fähigkeit zur schnellen Anpassung an neue Situationen und zur Problemlösung in der Welt der Jäger und Sammler von Vorteil sein konnte, insbesondere in einer sich ständig verändernden (nomadischen) Umwelt. In einer sesshaften, landwirtschaftlich geprägten Gesellschaft hingegen, in der Planung und Voraussicht wichtig sind, kann diese Spontaneität manchmal Schwierigkeiten bereiten und zu impulsivem Verhalten führen.

    Hunter Dschungel
  3. Hohe Energieniveaus: ADHS ist oft mit einer erhöhten Energie verbunden, sowohl körperlich als auch geistig. Hartmann stellt fest, dass diese Energie für Jäger und Sammler als Vorteil dienen konnte, um weite Strecken zurückzulegen, auf Beutejagd zu gehen oder Ressourcen zu sammeln. In der modernen Welt, insbesondere in strukturierten Umgebungen wie Schulen oder Büros, kann diese überschüssige Energie jedoch als Hyperaktivität wahrgenommen werden und zu Ablenkungen oder Konflikten führen. 

  4. Risikobereitschaft: Menschen mit ADHS neigen dazu, risikofreudiger zu sein als andere. Hartmann erklärt, dass in der Welt der Jäger und Sammler ein gewisses Mass an Risikobereitschaft notwendig war, um erfolgreich zu jagen, neue Gebiete zu erkunden oder in potenziell gefährlichen Situationen zu überleben. In einer landwirtschaftlich geprägten Gesellschaft hingegen, in der Sicherheit und Stabilität oft höher geschätzt werden, kann diese Risikobereitschaft als unangepasst, unvorsichtig oder tollkühn angesehen werden - und möglicherweise zu unerwünschten Konsequenzen führen. 

  5. Rasche Anpassungsfähigkeit: Eine weitere typische Eigenschaft von ADHS, die Hartmann hervorhebt, ist die Fähigkeit, schnell auf Veränderungen in der Umwelt oder auf neue Informationen zu reagieren. In der Welt der Jäger und Sammler hätte diese schnelle Reaktionsfähigkeit einen entscheidenden Überlebensvorteil bieten können, indem sie schnelle Entscheidungen bei der Jagd oder in gefährlichen Situationen ermöglichte. In einer landwirtschaftlich geprägten Gesellschaft, in der langfristige Planung und vorausschauendes Denken geschätzt werden, kann diese schnelle Reaktionsfähigkeit jedoch als Ablenkbarkeit oder Impulsivität angesehen werden und zu Schwierigkeiten im sozialen oder beruflichen Umfeld führen.

Und was meint die Wissenschaft dazu?

Die Hunter-Farmer-Hypothese besagt bekanntlich, dass Eigenschaften, die mit ADHS verbunden sind - wie Impulsivität und Ablenkbarkeit - für frühe Jäger und Sammler von Vorteil gewesen sein könnten. Jüngste Studien zeigen, wie diese Eigenschaften in verschiedenen Umgebungen das Überleben erleichtert haben dürften.

Eine Studie der University of Pennsylvania ergab, dass Personen mit ADHS-Eigenschaften in einer Futtersuche-Simulation besser abschnitten, indem sie erschöpfte Ressourcen schnell verliessen - und dadurch mehr Nahrung sammelten. Dies unterstützt die Idee, dass solches Verhalten in einem Jäger-Sammler-Kontext vorteilhaft war, wo die schnelle Anpassung an sich ändernde Umgebungen entscheidend für das Überleben war​ (Smithsonian Magazine)​​ (North Coast Journal)​.

Jungsteinzeit

Zusätzlich zeigte eine Untersuchung des Ariaal-Volkes in Kenia, die sich in nomadische und sesshafte landwirtschaftliche Gruppen aufteilte, dass die nomadischen Mitglieder mit dem ADHS-assoziierten DRD4 7R+ Allel (Genvariante) gesünder waren als ihre landwirtschaftlichen Gegenstücke mit demselben Allel. Dies deutet darauf hin, dass die mit ADHS verbundenen Eigenschaften in einem nomadischen Lebensstil vorteilhaft waren, aber weniger in einem sesshaften, landwirtschaftlichen Kontext​ (North Coast Journal)​​ (Genetic Lifehacks)​.

Darüber hinaus berührt die Hypothese auch genetische Anpassungen im Zusammenhang mit der Ernährung. Als die Menschen vom Jagen und Sammeln zur Landwirtschaft übergingen, wurden genetische Varianten, die den Kohlenhydratstoffwechsel beeinflussten, häufiger. Dieser Wandel zeigt, wie bestimmte genetische Eigenschaften maladaptiv werden können, wenn sich die Umweltbedingungen ändern, ähnlich wie ADHS-Eigenschaften weniger gut zu modernen sesshaften Lebensweisen passen​ (Genetic Lifehacks)​​ (K12 Academics)​.

Insgesamt bleibt die Hunter-Farmer-Hypothese darum ein überzeugendes Modell zum Verständnis der evolutionären Basis von ADHS-Symptomen - und legt nahe, dass diese Eigenschaften in der Vergangenheit unserer Spezies erhebliche Überlebensvorteile boten​.

Pfahlbau

Zusammenfassung: Die "Hunter-Farmer-Hypothese" von Thom Hartmann bietet einen interessanten Einblick in die möglichen evolutionären Ursprünge von ADHS und zeigt, wie bestimmte Verhaltensweisen und Eigenschaften in unterschiedlichen Kontexten nützlich oder problematisch sein können. Während diese Theorie sicherlich nicht alle Aspekte von ADHS erklärt, bietet sie eine Erinnerung daran, dass die Bewertung von Verhaltensweisen und Eigenschaften immer im Zusammenhang mit der jeweiligen Umwelt und Kultur erfolgen sollte.

Es ist wichtig, die Stärken und Schwächen von Menschen mit ADHS zu erkennen - und Möglichkeiten zu finden, ihre Fähigkeiten in der modernen Gesellschaft optimal zu nutzen. Indem wir unsere Perspektive auf ADHS erweitern und diese Eigenschaften als potenzielle Stärken anerkennen, können wir einen inklusiveren und anpassungsfähigeren Ansatz für die Bildung, die Arbeitswelt und das soziale Leben finden.

Falls Sie das nicht so wichtig finden, dürfen Sie Ihren PC nun gerne runterfahren und sich mit Linux oder MacOS anfreunden. Windows verdanken Sie nämlich Bill Gates. Einem Mann mit diagnostizierter ADHS. Sie stehen eher auf Piraten als auf so einen? Auch ok. Johnny Depp hat ebenfalls die Diagnose.

The Hunt

Zusatz: Die Neanderthaler und wir

Neueste Forschungen haben faszinierende Einblicke in den Zusammenhang zwischen Neanderthaler-Genen und ADHS geliefert. Es wurde festgestellt, dass moderne Menschen etwa 1-4% Neanderthaler-DNA tragen, die verschiedene Eigenschaften beeinflusst, darunter neurologische und psychiatrische Zustände wie ADHS. 

Ein wichtiges Gen, das mit ADHS in Verbindung gebracht wird, ist das DRD4-7R-Gen, welches die Dopaminspiegel im Gehirn beeinflusst und mit Risikobereitschaft, Neugierde und einer Neigung zu explorativem Verhalten assoziiert ist. Dieses Gen soll um die Zeit entstanden sein, als sich Neanderthaler und frühe moderne Menschen vermischten. 

Neanderthaler

Forscher haben vorgeschlagen, dass genetische Varianten, die mit ADHS verbunden sind, in prähistorischen Umgebungen vorteilhaft gewesen sein könnten, da sie exploratives und innovatives Verhalten förderten, das für das Überleben und die Anpassung nützlich war. Diese Eigenschaften können jedoch in modernen sesshaften und strukturierten Gesellschaften maladaptiv sein und zu den Herausforderungen führen, die heute mit ADHS verbunden sind. 

Zusätzlich wurde festgestellt, dass Neanderthaler-DNA nicht nur mit ADHS, sondern auch mit einer höheren Wahrscheinlichkeit für Depressionen und Nikotinsucht verbunden ist (ADHS ebenso). Diese genetischen Verbindungen deuten darauf hin, dass die Neanderthaler-DNA eine Vielzahl von klinischen Merkmalen in modernen Menschen beeinflusst, einschließlich immunologischer, dermatologischer, neurologischer, psychiatrischer und reproduktiver Erkrankungen. 

Neanderthaler Paar

Die laufende Untersuchung alter Genome wirft weiterhin Licht darauf, wie unsere evolutionäre Geschichte das heutige Gesundheits- und Verhaltensmuster prägt, und bietet ein tieferes Verständnis für die genetischen Wurzeln von ADHS und seine Persistenz in der Bevölkerung.

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