ADHS & Ableismus: Bloss scheinbare Toleranz, dafür reale Folgen - ADHS Store

ADHS & Ableismus: Bloss scheinbare Toleranz, dafür reale Folgen

Gesellschaftliche Ignoranz und Vorurteile machen das Leben von ADHS-Betroffenen unnötig schwer. Doch dieser "Ableismus" schadet nicht nur den Betroffenen – er kostet uns alle wertvolle Talente. 

In einer Welt, die auf Normierung und administrativen "Zehnkampf" ausgelegt ist, stossen Menschen mit ADHS auf unzählige unsichtbare Hindernisse. Ableismus – als Vorurteile und Diskriminierung gegenüber Menschen mit Behinderungen definiert – prägt ihren Alltag und erschwert ihre Teilhabe. Obwohl ADHS (jedenfalls leicht/mittelgradig) weniger eine Behinderung als eine neurologische Diversität ist, hat es Folgen für den Alltag. Denn Menschen mit dieser Diagnose "ticken nun einmal anders im Oberstübchen".

Schlüssel

Was ist Ableismus bei ADHS?

Ableismus zeigt sich bei ADHSlern in besonderer Weise: Ihre Herausforderungen - etwa Zeitgefühl, Organisation/Administration, Aufmerksamkeit, Impulsivität, Nervosität/Getriebenheit - werden ignoriert oder verharmlost. Anders als bei sichtbaren Einschränkungen fehlt die Anerkennung, dass ADHS-Betroffene alltäglich mit den vorhandenen Strukturen kämpfen – auch wenn diese Kämpfe nicht immer sofort offensichtlich sind ("soziales Maskieren", Anpassungsdruck). 

Statt Verständnis zu zeigen, begegnen viele Aussenstehende der Diagnose mit Skepsis. ADHS wird als „Trend“ abgetan, die Betroffenen als faul oder undiszipliniert bezeichnet. Zudem als arrogant oder querulantisch. Dieses Unverständnis verstärkt den Druck auf Menschen, die ohnehin schon Schwierigkeiten haben, sich in einer neurotypischen Welt zurechtzufinden.

Neu ist das Phänomen auch nicht. Noch vor gut 50 Jahren wurde Linkshändern die "falsche Hand" verboten - oder zumindest nahegelegt, es "richtig zu lernen". Und Depressionen waren für die Allgemeinheit lange etwas, das faule Menschen als Ausrede benutzten, um morgens nicht aufstehen zu müssen.

Puzzle

Gesellschaftliche Vorurteile: Wenn Ignoranz verletzt

ADHS-Betroffene kämpfen mit diesen tief verwurzelten Stereotypen. Häufig werden sie als unorganisiert, unzuverlässig oder hyperaktiv abgestempelt. Solche Vorurteile ignorieren die neurologischen Hintergründe von ADHS komplett und reduzieren die Betroffenen auf vermeintliche Charakterschwächen. Besonders verbreitet ist die Ansicht, ADHS sei keine „echte“ Diagnose, sondern nur eine Ausrede für schlechtes Verhalten (wegen schlechter Erziehung oder bösartigem Charakter). 

Kurz: Wer anders denkt oder arbeitet, wird schnell als Problem wahrgenommen, anstatt als wertvolle Ergänzung. Diese Haltung verhindert nicht nur Inklusion, sondern auch das volle Ausschöpfen des Potenzials von Menschen mit ADHS.

Schule: Der erste Kontakt mit Ableismus 

Schon im Bildungssystem erleben Kinder mit ADHS Ableismus hautnah. Starre Schulsysteme setzen auf Konformität und Stillsitzen für 45 min bis zur kurzen Pause (auch wenn die Aufgaben langweilen) – ein Konzept, das für viele ADHS-Betroffene schwer zu erfüllen ist. Die Konzentration auf für sie sinnlose Dinge, zu starre Unterrichts-Strukturen und das geforderte stille Verhalten überfordern sie völlig - während individuelle Unterstützung (Ausbau der Stärken, mitigieren der Schwächen) fehlt. Lehrer:innen interpretieren die Symptome (plaudern, stören) oft falsch - und sehen darin folglich auch Disziplinlosigkeit oder Faulheit. 

Die Folgen sind weitreichend: Kinder und Jugendliche mit ADHS entwickeln früh das Gefühl, nicht gut genug zu sein. Fehlende Förderung und ständige Kritik rauben ihnen das Selbstvertrauen und beeinflussen ihre schulischen und sozialen Perspektiven negativ. Bei mittlerer oder hoher Intelligenz (und etwas familiärer Struktur) mag die Gleichung aufgehen. Der/die "Rebellin" wird später zum Spezialisten, zur Professorin, zum KMU-Gründer, Chirurgen oder 1A-Handwerker, Gartenbau-Künstler usw. etc. Bei weniger guten Voraussetzungen läuft es anders: Schulabbrüche, Heimaufenthalte, Drogenkonsum, Gewaltdelikte, Gefängnis zum Beispiel (ADHS in der Gesamtbevölkerung: 5%. In Gefängnissen: 20-30%).

Arbeitswelt: Vorurteile, die Karrieren bremsen 

In der Arbeitswelt setzt sich das Muster aus der Schule fort. Menschen mit ADHS erleben Diskriminierung durch Kolleg:innen und Vorgesetzte, die ihre Arbeitsweise als chaotisch, intransparent oder ineffizient abwerten. Flexibilität und angepasste Arbeitsstrukturen – die vielen Betroffenen helfen würden – fehlen oft noch. Stattdessen wird ADHS als Schwäche ausgelegt, die den beruflichen Aufstieg behindert. Überall dort, wo "Sitzleder" und Fleiss höher angesehen werden als Kreativität, Leistung und Improvisationstalent, werden ADHSler notgedrungen den Kürzeren ziehen. 

All diese Vorurteile übersehen zudem die Stärken, die ADHS mit sich bringen kann: Etwa Fantasie, Innovationsgeist und die Fähigkeit, sich voller Energie einer Aufgabe zu widmen, die einen begeistert (gegen alle Widerstände). Leider bleiben solche Qualitäten oft ungenutzt, weil Menschen mit der Diagnose in einem 8-to-5-Job landen, statt in flexibleren Arbeits- und Auftragsverhältnissen.

Medizinische und psychologische Diskriminierung

Selbst im Gesundheitswesen begegnen Menschen mit ADHS dem Ableismus. Fachpersonen nehmen ihre Symptome nicht ernst oder schreiben sie anderen Ursachen zu. In einigen Fällen erhalten Betroffene keine Diagnose oder eine Fehldiagnose (> Depression, Angststörung), was den Zugang zu wirksamer Behandlung verhindert. 

Dieser ableistische Umgang ENTmutigt viele, sich erneut Hilfe zu suchen. Die Folge ist ein Teufelskreis aus unbehandelten Symptomen und wachsender Belastung. Für Betroffene bedeutet das dann nicht nur psychische, sondern auch wirtschaftliche Einbussen, da sie durch die Symptome ausgebremst/blockiert werden - oder auf "Selbstmedikation" setzen (legale wie illegale Stimulanzien, Alkohol zum "Runterkommen").

Übler Wasserhahn

Tiefgreifende Auswirkungen auf Leben und Psyche 

Ableismus hat insgesamt weitreichende Folgen, die auf viele Lebensbereiche abfärben:

- Soziale Isolation und Missverständnisse: ADHS-Betroffene erleben häufig Kritik und Ablehnung. Freunde, Familie und Bekannte deuten ihre Verhaltensweisen oft falsch, was zu Konflikten führt. Viele ziehen sich dann zurück, um weiteren Enttäuschungen zu entgehen. 

- Zwischenmenschliche Belastungen: Partnerschaften und Familienbeziehungen leiden unter Missverständnissen. Impulsivität oder Vergesslichkeit werden als mangelnde Rücksicht/mangelndes Interesse interpretiert, obwohl sie Teil der neurologischen Besonderheit ADHS sind. Die ständige Kritik belastet beide Seiten.  

- Psychische Folgen: Chronische Ablehnung hinterlässt Spuren. Viele Betroffene entwickeln in der Folge ein geringes Selbstwertgefühl, Angststörungen oder Depressionen. Oder sie stauen ihre Wut innerlich auf. Der Druck, „bitte normal“ zu sein, führt so oder so oft zu zu innerer Erschöpfung und Resignation. 

- Finanzielle Nachteile: Berufliche Instabilität und hohe medizinische Kosten belasten die finanzielle Situation vieler ADHS-Betroffener, bzw. letztlich die ganze Allgemeinheit (Sozialfälle etc.). Wenn schon Integration (offenbar) schwierig war, wird Reintegration zur Unmöglichkeit.

Gemeinsam gegen Ableismus 

Der Kampf gegen Ableismus beginnt bei uns allen. Selbsthilfegruppen und Aktivist:innen leisten wertvolle Arbeit, um Vorurteile zu bekämpfen und ein Umdenken zu fördern. Sensibilisierungskampagnen und rechtliche Initiativen sowie politische Vorstösse tragen dazu bei, dass Betroffene mehr Unterstützung und Verständnis erfahren. 

Doch das allein reicht nicht. Schulen, Arbeitgeber:innen und medizinische Einrichtungen müssen erkennen, dass Anpassungen keine Sonderwünsche, sondern notwendige Massnahmen sind. Nur so können wir Barrieren abbauen und eine inklusivere Gesellschaft schaffen.

Fazit: Vielfalt statt Vorurteile 

Ableismus bei ADHS ist ein Hindernis, das nicht nur Betroffene, sondern die gesamte Gesellschaft ausbremst. Es kostet sie insgesamt VIEL mehr, als bescheidene, aber effektive Veränderungen kosten würden. 

Ein respektvoller Umgang mit neurologischer Diversität bereichert uns alle. Mit Empathie, Offenheit und der Bereitschaft zum genauen Hinschauen würden wir eine Menge erreichen. Viele ADHSler sind humorvolle Querdenker, deren Unterhaltungswert Lachkrämpfe auslösen kann - wenn sie nicht gerade eine zündende Idee für das nächste Projekt, Produkt oder die nötige inkrementelle Verbesserung für einen starren Prozess liefern.

Und vor allem: Sie werden dabei nicht müde. Sie sind dann in ihrem Element.

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