ADHS und Partnerschaft: Ein zweischneidiges Schwert
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ADHS beeinflusst Betroffene und ihre Partner gleichermassen. Beide tragen Verantwortung für die Herausforderungen, welche die Neurodiversität mit sich bringt. Ein Blog über die individuellen Schwächen, Besonderheiten wie auch grossen Stärken von ADHS-Partnern.
Schon wieder ein Missverständnis oder hochkochende Emotionen? Menschen mit ADHS und ihre Partner stehen oft vor Herausforderungen, die durch die Symptome der Störung entstehen. Doch nicht nur die ADHS-Betroffenen, sondern beide Partner sind an den auftretenden Konflikten beteiligt.
Das Verständnis für den «ADHS Blueprint», also typische Verhaltensmuster, ist entscheidend, damit Beziehungen mit involviertem ADHS wachsen und gedeihen können.
Das Gute zuerst: Begeisterungsfähig, neugierig, spontan und kreativ…
Menschen mit ADHS überzeugen oft durch ihren natürlichen Charme, eigenwilligen bis schwarzen Humor und eine Fülle an kreativen Ideen. Ihre spontane und unberechenbare Natur, gepaart mit einer intensiven Lebensfreude und einem ausgeprägten Gerechtigkeitssinn, macht das Zusammenleben mit ihnen zu einem abwechslungsreichen Erlebnis. Ihre Hypersensitivität ermöglicht es ihnen, subtile Emotionen und Stimmungen zu erfassen (sich davon abgrenzen können, ist dann wieder ein anderes Thema). Wenn die Beziehung durch echten, intellektuellen, emotionalen und sexuellen Austausch genährt wird, dürfte sie auch nicht so schnell langweilig werden. Denn Menschen mit ADHS bringen auch eine grosse, kindliche Dankbarkeit mit – selbst für kleine und scheinbar unbedeutende Dinge. Je nach ADHS-Typ wird die Partnerschaft zudem durch ein kaum je ermüdendes Energiebündel bereichert – oder durch eine(n) sinnliche(n)Träumer(in), die/der intensive Gefühle kennt, lebt und gerne darüber spricht.
Die Schattenseiten: Impulsivität, Vergesslichkeit, Abwesenheit, Rastlosigkeit…
So faszinierend die erstgenannten Qualitäten auch sind: Die ständige Flut neuer Ideen und die schnellen Stimmungswechsel können PartnerInnen an ihre Grenzen bringen. Unvorhersehbarkeit und Spontaneität, obwohl oft charmant, erschweren die Planung. Manchmal wirken sich auch die chronische Vergesslichkeit und mangelnde Frusttoleranz erschwerend auf den Alltag aus. Kann man darauf vertrauen, dass YX an das und das denkt? Muss man ihn/sie daran erinnern? Wird er/sie es dann annehmen können oder sich allenfalls bemuttert/bevatert vorkommen?
Mit einer stärkeren Ausprägung von ADHS steigt oft auch die Häufigkeit von zwischenmenschlichen Konflikten, sozialen Defiziten und dissozialen Verhaltensweisen. Parallel dazu nimmt die Fähigkeit zur Stressbewältigung sowie zur Kommunikation und Problemlösung ab.
Es ist daher nicht überraschend, wenn Studien immer wieder aufzeigen, dass Beziehungen mit ADHS-Betroffenen komplexer sind und eine höhere Tendenz zum Scheitern aufweisen.
Wo ADHS-Symptome sind, sind auch ADHS-Paarprobleme nicht weit
Die Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung zeichnet sich vor allem durch hohe Impulsivität, äussere Hyperaktivität bzw. innere Unruhe und erschwerte Lenkung der Aufmerksamkeit aus. Alle drei Symptome haben in einer Paarbeziehung naturgemäss das Potenzial, spaltend auf die intime Bindung zu wirken. Sind Kinder involviert, steigt zudem der Druck im Alltag. Die Anforderungen an Menschen mit ADHS werden blitzartig grösser – sie müssen nicht mehr nur ihre eigenen Emotionen annehmen und «integrieren», sondern auch das emotionale Wohl des Nachwuchses verantworten.
Im Folgenden einige typische ADHS-Einflüsse auf eine Paarbeziehung:
Impulsivität: Menschen mit ADHS gleichen einem offenen Buch, in dem jede Emotion, jede Empfindung mit leuchtenden Buchstaben geschrieben steht. Ihre emotionale Welt ist intensiv, ein Kaleidoskop aus leuchtenden Farben und tiefen Schatten. Sie sind wie Seismographen, die jede noch so kleine Erschütterung der Gefühlswelt aufzeichnen, oft überempfindlich und intensiv in ihren Reaktionen. „Ich höre, was du nicht sagst“ – könnte das inoffizielle Motto vieler ADHS-Betroffener sein. Sie sind Meister darin, unausgesprochene Gefühle und subtile Signale wahrzunehmen. Eine unschuldige Bemerkung kann wie ein Pfeil ins Herz treffen, ein unbeabsichtigter Ausdruck als Missachtung wahrgenommen werden. Betroffene leben also auf einer emotionalen Achterbahn. Ihre Freude ist grenzenlos, ihre Kränkung tief, ihre Wut intensiv. Sie sind wie ein offenes Feuer, das lebhaft und warm, aber auch unberechenbar und gefährlich sein kann. In einem Moment lachen sie, im nächsten können sie eine hitzige Debatte vom Zaun brechen.
Unaufmerksamkeit: Die Unaufmerksamkeit, die oft mit ADHS einhergeht, kann erhebliche Auswirkungen auf Paarbeziehungen haben. Sie mag etwa dazu führen, dass Betroffene den Fokus während Gesprächen verlieren, was Partner dann als degradierend oder respektlos wahrnehmen. Dieses Gefühl der Vernachlässigung zieht u.U. weitere Missverständnisse und Konflikte nach sich. Reagiert der Partner/die Partnerin mit Unverständnis auf die «ADHS-Abwesenheit», können sich Kommunikations-Blockaden ergeben. Der ADHS-Part fühlt sich immer stärker missverstanden, reagiert vielleicht mit Aggression oder auch mit immer häufigerem «inneren Rückzug».
Hyperaktivität: In Beziehungen kann die Hyperaktivität und Unruhe von ADHS-Betroffenen zu einem Gefühl der Instabilität und Unvorhersehbarkeit führen. Der nicht betroffene Partner hat dann Schwierigkeiten, mit der ständigen gedanklichen Bewegung und/oder physischen Energie Schritt zu halten, was zu Stress und Erschöpfung führen kann. Es ist entscheidend, Gefühle der Überforderung zu kommunizieren – und beide Partner müssen ihren Raum auf sicher wissen, wo sie «ganz ihre Ruhe» haben. Mit Kindern wird diese Herausforderung naturgemäss noch grösser.
Angst vor Zurückweisung: Menschen mit ADHS reagieren oft besonders sensibel auf unsachliche Kritik, Nörgeleien und emotionale Ausbrüche ihrer PartnerInnen. Selbst gut gemeinte Ratschläge können sie als persönlichen Angriff interpretieren und entsprechend intensiv reagieren. Die Fähigkeit, Kritik als wichtig zu erkennen und anzunehmen, ist oft eingeschränkt. Selbst wenn sie spezifisch und situativ sind, werden die kritischen Worte häufig als umfassende Ablehnung empfunden. Die «innere Alarmglocke» meldet sich, die ADHS-Betroffenen reagieren mit einer Flucht- oder Kampfreaktion – ein primitives Verhaltensmuster, das tief in unserem Reptiliengehirn (limbisches System) verankert ist.
Lösungen? 7 wichtige Punkte für Beziehungen inkl. ADHS
Humor & Gelassenheit: Humor und Gelassenheit sind Schlüsselkomponenten, um das Zusammenleben mit einem/einer ADHS-Betroffenen zu erleichtern. Diese Qualitäten sind in jeder Beziehung wertvoll, aber im Umgang mit ADHS werden sie zum unverzichtbaren Werkzeug.
Kritik konstruktiv äussern: ADHS-Betroffene sind sehr empfindlich gegenüber unsachlicher Kritik und gehässigem Ton. Während ruhiger Paargespräche dürften sie aber eine grosse Bereitschaft zeigen, an ihren Verhaltensweisen zu arbeiten. Die Verantwortung für deren Stattfinden dürften indes meist die Nicht-ADHS-ler tragen (Organisations-Defizit…).
Konflikte entschärfen: ADHS-Betroffene können sehr leidenschaftlich und überzeugend in Diskussionen sein. Anstatt sich in hitzigen Debatten zu verfangen, kann es hilfreich sein, einen Schritt zurückzutreten – und das Gespräch zu einem späteren Zeitpunkt fortzusetzen.
Eigene Grenzen wahren: Auch der Partner/die Partnerin eines ADHS-Betroffenen muss seine eigenen Grenzen schützen. Er/sie sollte ihre Bedürfnisse klar einfordern, Rückzugsinseln schaffen und diese auch konsequent und regelmässig nutzen.
Stresssituationen minimieren: ADHS-Betroffene leider unter Zeitdruck und in stressigen Situationen verstärkt (weniger Emotionsregulation). Es ist wichtig, gemeinsam eine unterstützende, ruhige Umgebung zu schaffen – und eine möglichst klare Aufgabenplanung zu erarbeiten.
Autonomie respektieren: ADHS-Betroffenen sollten nicht bevormundet oder in ihrer Autonomie untergraben werden. Stattdessen sollten sie ermutigt werden, Verantwortung für ihr Handeln zu tragen. Dass sie das können, zeigen die vielen Beispiele erfolgreicher/prominenter Menschen mit ADHS.
Klare Kommunikation: Klare und direkte Kommunikation ist entscheidend. Die eigenen Bedürfnisse und Erwartungen müssen von beiden Partnern unmissverständlich artikuliert werden, Konsequenzen absehbar aufgezeigt. «Es stört mich, dass…» ist dabei immer wirkungsvoller als «nie tust Du…» oder «immer machst Du…».
Alles ziemlich «common sense»? Ja, denn diese Tipps sind nicht nur für Beziehungen mit «ADHS inside» relevant. Sie können und sollten in jeder gesunden Paarbeziehung angewendet werden, um ein unterstützendes, respektvolles und liebevolles Miteinander zu fördern.
2 comments
Sehr guter Artikel, sehr informativ. Für mich als Partnerin und Ehefrau leider zu spät, unsere Beziehung ist im Begriff zu scheitern. Mein ADHS-Partner kümmert sich nicht um eine Behandlung, ist ein pathologischer Lügner und Fremdgeher. Reue kennt er auch nicht. Hätte ich den Artikel früher gelesen, hätte ich mich nicht auf ihn eingelassen. Für mich ist eine solche Beziehungskonstellation die Hölle und nicht lebbar.
Sehr hilfreich und aufschlussreich…ich erkenne mich von Anfang bis zum Ende wieder-